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Gendern – ist noch das kleinste Problem

 

Literatur & Feminismus, das eine ist überlebensnotwendig, das andere trägt seine Geschichte in sich, wie eine alte Krummkrücke, deren Tocktock selten nur noch über Steinböden klingt, gerne ungehört verhallt, denn notieren lässt sich vieles, die Geduld der Schrift ist seit Jahrhunderten bekannt.

Die Literatur sei fest in weiblicher Hand, schrieb Brigitte Theissl am 21. Juli dieses Jahres sinngemäß im »Standard« nach einem Sieg der Literatinnen beim diesjährigen »Bachmannpreis«. Dem lässt sich bloß hinzufügen, dass die Belletristik das schon seit langem ist, in weiblicher Hand: Die Mehrheit der Literaturschaffenden sind Frauen. Kein Wunder, wenn man die Honorarhöhe betrachtet, die uns für die Arbeit als Romancière nach gut eineinhalb Jahren offeriert wird. Und eine Literatin lässt sich – foto- und telegen – außerdem besser vermarkten als ein männlicher Kollege, zumindest solange sie jugendlich in die Welt guckt, und die Cellulitis nicht durch das Badewasser schimmert. Da darf sie dann auch mal ganz gerne Geburt der Venus am Buchcover spielen, die Muschel tauschen wir hurtig gegen eine Poolkulisse, und sie erhält Aufmerksamkeit – für ihr wiegendes sich Fortbewegen auf 10 cm+ Absätzen, hinein in den Saal und hinaus: Wird sie stolpern? – das Werk, welches sie schuf, wird dabei als sekundäres Element kurz betrachtet, die Bewunderung gilt dem physischen und nicht dem lebenskünstlerischen Balanceakt; make me beautiful, in Zeiten der Selbstinszenierung ersetzt das die Kunst; wissen wir alle, bestätigt zudem der Titel, den Frau Theissl für ihren Kurzbericht zur Lage der Literatur wählte: »Schriftstellerinnen haben längst den Literaturbetrieb erobert – doch an sie werden nach wie vor andere Ansprüche gestellt«. Und wir wissen obendrein:  dünn wird die Luft nach oben, an den entscheidenden Knotenpunkten im Literarischen Feld ist Testosteron und Moschus gefragt.

Es stellt sich daher mitunter die Frage: passt der Hut noch? Der feministische nämlich. Es stellt sich hingegen nicht die Frage: ein- oder entmotten, denn für längere Zeit verwahrt, wohlgeschützt gegen diese gefrässige Insekten, deren Ethymologie übrigens im Dunkeln liegt, das ist der Feminismus seit vielen Jahrzehnten schon, festgeschrieben im Gesetz: gleiche Rechte, gleiche Bezahlung; und gleiche Karrierechancen – die in der Kunst ohnedies nicht einzumahnen sind, ›Geschmack‹ als Todschlaginstrument funktioniert einwandfrei, will man sich mit literaturwissenschaftlicher Argumentationskunst nicht belasten.

Doch auch fern des literarischen Feldes: Der Feminismus hat ausgedient; derjenige der 1970er Jahre, derjenige der Jahrhundertwende sowieso. Er taugt nicht mehr für unsere Tage. Das Grab ist lange schon geschaufelt, schütten wir es endlich zu und pflanzen sieben Chrysanthemen obendrauf! Unter deren Obhut mag er wohl behütet ruhen. Was wir in unserem Jahrzehnt sowie in den folgenden der Krise benötigen werden, ist gänzlich anderes. Verhüterli, zum Beispiel; gegen Trägheit angesichts unserer Scheinwelten, gegen Neobiedermeier im Marmeladetauschkränzchen, und gegen eine selbstreferenzielle Dämlichkeit, die meint, mit sprachlichem Gendern, per Gesetz verordnet, sei die Welt schon in Ordnung gebracht, alles erfüllt sich durch bloße Papierexistenz, ansonsten ersinnen wir rasch 97 neue Verordnungen, und außerdem werden sich irgendwann die alltäglichen, unbezahlten Reproduktionsarbeiten wie Kochen, Putzen, Kinderbetreuung usw. usf. von alleine erledigen …

 

»Es war bei einer literarischen Soiree im ORF-Kulturcafé, in welcher der Roman ›Eine sehr kleine Frau‹, in dem sich Peter Henisch mit dem Leben seiner Großmutter auseinander gesetzt hatte, besprochen wurde. Ein Verleger erklärte sinngemäß: ›Man muss bedenken, diese Frau  wäre ja an sich vollkommen uninteressant, wenn nicht der Dichter …‹ Bei diesem Satz schoss mir das Blut in die Wangen als hätte man mich geohrfeigt.«, schrieb mir die Journalistin und Literatin Christa Nebenführ; ich erinnere mich gut. Denn wenige Tage nach jener Veranstaltung traf ich sie, und noch in der Erzählung dieser Begebenheit schwoll Christas Stimme, die ich um ihrer selbstverständlichen Raumnahme willen liebe, um etliche Dezibel an. Und dennoch ist es so: Diese Frau, diese Großmutter ist im Henischen Werk vollkommen uninteressant, völlig bedeutungslos! Um diese Tatsache kommt keiner herum. 

Die Fragen, die sich jedoch stellen: Ist sie es weil ein Mann, ein Dichter, seinen Blick darauf wirft und dies aus ihr macht? Oder weil Henisch einen maskulinen Ich-Erzähler, der um sich selbst kreist, einen Blick auf sie werfen lässt? Oder: Ist sie völlig bedeutungslos, weil ein Frauenleben in den 1930er bis 70er Jahren in Henischs Augen exakt dies war? 

Ja, Henisch lässt das Enkel-Ich von ihr erzählen; aber vielmehr erzählt dieses Ich nun mit wiedergefundenen Worten von sich selbst, der eigenen Suche – der Mann steht den gesamten Roman über im Vordergrund, die Frau bleibt bloß Folie dahinter; selbst wenn ihr Körper – eine sehr kleine Frau, wie mehrfach auch im Erzählgeschehen betont wird –  titelgebend ist, bleibt sie völlig bedeutungslos, existiert nur am fernen Himmel der Erinnerung, ein bloßer Vorwand für den Tanz des Ichs um sich selbst. Das ist schön. Denn Fakt ist: Nur wer gesehen wird, existiert für seine oder ihre Umgebung. Frauen aber haben sich darin gefallen – und es sich gefallen lassen! – unsichtbar zu sein, unsichtbar gemacht zu werden. Und das hatte Gründe, unzählige und gute, so viele, wie es Frauen gibt. Die Unsichtbarkeit und völlig Belanglosigkeit einer Frau, deren Erwerbsleben von den 1930er bis 60er Jahren in etwa reichte, hat Henisch demnach brillant nachgezeichnet. Sie ist so klein, diese Frau, so winzig, dass sie für einen Enkel, der Künstler wird, der bedeutsam ist, zumindest als Referenzpunkt am Kindheitsfirnament relevant sein muss, damit sie überhaupt ins literarische Universum stolpern darf: als den Enkel bedingungslos liebende Person, wie gleichfalls mehrfach betont wird. Man kann also sagen, was man will – Absicht oder nicht –: Henisch hat ihre Unsichtbarkeit, ihre im Hinblick auf das männliche Figurenarsenal ausgeprägte Echolalie, also ein Sprachverhalten als permanentes Echo, typisch für frühkindliche Sprachformen, gekonnt und in Perfektion abgebildet.

 

Und das soll doch Inhalt von Literatur sein – von ›Aufgaben‹ möchte ich nicht sprechen, sie klingen mir zu sehr nach Transportvehikel und Pflichterfüllung: Das Unsichtbare, das Verborgene sichtbar machen; den Blick hinter die Kulissen werfen, in die Untiefen der Meere, die Welt, die uns umgibt, abzubilden, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sie weiterzudenken, sie eventuell sogar ins Absurde zu treiben, zu überspitzen, zu überhöhen. Das zumindest entspricht meinem Verständnis von Literatur, denn eine, die Rosabrillen verschreibt, und beim nächsten Liebhaber wird sicherlich alles besser, sei’s im Wald oder anderswo, interessiert mich persönlich nicht. Literatur soll piksen und ärgern und rütteln und schmerzen und wüten lassen und unterhalten – ja, das auch! Sie stellt unsere Arbeit dar, für die Lesenden jedoch eine Form der Freizeitgestaltung; sie wird verfasst für Menschen, die nach einer 40-oder-mehr-Stundenwoche zumindest noch eine anspruchsvollere Wegzeit-, Abend- oder WE-Beschäftigung suchen als Soko Donau, Bauer sucht Frau, Inga Lindström, Shopping Queen – Biggest Looser allesamt …

 

Hinzu kommt noch ein Weiteres: Die Literatur ist ein großes Schiff auf dem Ozean, Volldampf voraus, Aufbruch in neue Welten und Erzähluniversen; -ismen und Ideologien haben darauf nur Platz, wenn sie nicht das Steuerrad umklammern. In den Köpfen der Protagonist/innen, die dieses Erzähluniversum bevölkern, dürfen sie hingegen gerne spuken, so wie sie fernab der Schiffsplanken am Festland unserer Welt ihr Unwesen treiben. Das gilt auch für den Feminismus; selbst wenn auf diesem Feld, wir erinnern uns, höchstens noch die Chrysanthemen blühen. Ich habe nichts gegen jene Blumen, fürwahr nicht, Allerseelen ist ihre Zeit, einmal jährlich ein Gedenken: Mimosen in Italien zum Internationalen Frauentag; da gehen wir hin, brav und tapfer und sichtbar und laut – um danach dem Ehemann die Unterhosen zu waschen, die pubertären Launen der Kinder zu ertragen und in Dankbarkeit für ein anerkennendes Wort  des Chefs  weich wie Butter zu schmelzen. Nein, ich bedaure, schlage das Kreuz gerne eigenhändig ein, putze die Schiffsplanken, schrubbe und spüle den Literaturdampfer: Die Erzählkunst lässt sich in keinen Dienst nehmen. Kein -ismus hat mir in ihr etwas verloren, kein Dogma, beide gehen mir auf die Nerven, ihre Ausschließlichkeiten, ihre Dummheiten kotzen mich an, und die Nähe zu Formen der Agit-Prop-Literatur der 1968er Jahre wäre mir bedenklich – was trotzdem keinesfalls Blümchen-Literatur und Wald und Wiesen, weite Flur, schöne Unterhaltungswelt bedeutet! Ebenso wenig eine Form des l’art pour l’art.

Dass ich im wissenschaftlichen wie im privaten Bereich von Künstler/innen spreche, von Leser/innen und Literat/innen, dass ich im wissenschaftlichen Kontext Wert darauf lege, ›Doktorin‹ genannt zu werden, falls wir uns schon österreichisch geben und mit Titeln operieren!, dass ich meine Studentinnen fördere, sie explizit ermutige, sich nicht mit einem halben Himmel und einem Teil des Honorars zufrieden zu geben, sondern für ein ganzes Universum zu streiten – all das ist Alltag, ist Normalität. Auf meine Frage an eine Veranstalterin nach Abschluss einer Lesung, weshalb ich für meine Arbeit nicht das zuvor vereinbarte Honorar erhielte, erläutert sie mir ernsthaft, man habe von mir genommen und dem männlichen Kollegen, mit dem ich gelesen hatte, gegeben: Er habe Familie zu erhalten … In der gleichen Stunde revidiere ich zudem meine Prinzipien der Selbstdarstellung, in der Kinder nicht vorkamen, nicht vorkommen durften, wollte ich mir nicht die altbekannten Vorurteilssplitter unter die Haut ziehen: Eine Literatin, die Mutter wird, taugt nichts mehr. Wer in den Olymp aus Bachmann, Jelinek, Lavant, Mayröcker, Droste-Hülshoff, Brontë, Sand, Austen usw. aufgenommen werden will, verschweige daher ihre Existenz. Sonst fügt sich an das Nebenher der Küchentischliteratur, Verdacht auf Liebes-, Beziehungsromane inkludiert, nur noch jenes der Kinderliteratur und des Familiendramas: Haushofers Wand steht nach wie vor. 

Weil ich Frau bin, weil ich entsprechend meinem eigenen Lebenskonzept mein Leben gestalte, das Elfenbein des Turms entbehrlich finde und lieber den Kopf in die Wolken der Phantasie stecke, beide Beine jedoch in der Weltlichkeit der Gegenwart, die Geschehnisse unserer Zeit beobachtend, sage ich, der Feminismus in der altbekannten Form hat ausgedient. 

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich bin der Überzeugung, wir haben andere weitaus dringendere Themen als Feminismus – oder die modernere Bekleidung mit geringfügiger Ergänzung als ›Gender‹: Neoliberalismus, menschenverachtende Wirtschaftskonzepte, eine Politik, die an Polis meilenweit vorbei eilt, und massenhafte Flüchtlingsströme verursacht, Machenschaften von Großkonzernen und die Veränderungen der Gesellschaftsstruktur durch Überalterung, inklusive problematische Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, die Rechtslastigkeit und Linksblindheit unserer zeitgenössischen Gesellschaft … Gender ist von all dem immer nur ein Teilaspekt; und wissend, dass ich mich wiederhole: Literatur verträgt keine In-Dienst-Nahme, sondern ist Darstellung, Denkanregung, Gegenentwurf. Literatur ist der Finger in der Wunde. Ist das erzählerische Gestalten des Krustenkratzens: Rundum mag sogar das Erzähluniversum einlullen, in sanft unterhaltenden Wellen, bis der Nagel sich in die Kruste hakt und daran reißt … 

Und im Betrieb? Geht es nicht anders zu als anderswo. 

Da mag die Belletristik in femininer Hand sein, das Gros der Leser/innen weiblich – wir erinnern uns: »Schriftstellerinnen haben längst den Literaturbetrieb erobert – doch an sie werden nach wie vor andere Ansprüche gestellt.« Korrekt. Wir werden gerne reduziert; als Podiumsaufputz, als Photoschmankerl. Aber, wenn ich etwas zu sagen habe, soll ich mich dann wahrlich kränken, weil einer schreibt, ich sei nicht nur ein Ohrenschmaus, sondern auch Augenweide?, wobei der Kritiker die Behauptung des Gegenteils per se nicht wagen würde. Wo begrenzt der Objektstatus, den mir die Welt – sei es die literarische oder die alltägliche – ohnedies überstülpen will, meinen mir persönlich angeeigneten Blick als Subjekt in der meinen? Und wo treibe ich selbstbewusst mein Spiel mit ihnen? Wenn er dazu aufrufen will, Augenschafe auf die Weide zu treiben, soll er doch.

Ich schreibe ficken, Fotze, Möse, Fut und Schwanz, pudern, wenn es darum geht. Political correctness hat in Erzählwelten genau so wenig verloren wie ihre sexuelle Schwester.

Und es braucht mich nicht zu interessieren, ob der Typ in Reihe 3 sich fragt ›Fickbar?‹ Soll ich mir die Ausgestaltung bestimmter Szenen verwehren, weil sie inkorrekt, sexistisch, chauvinistisch, machistisch oder die Kopfbilder des männlichen Geschlechts forcieren? Weil ›Sex sells‹ bis heute gilt? Darf ich mir gestatten, davon zu profitieren, solche Inhalte unter die anderen philosophischen Fragen und politischen Themen zu mengen, die mir wichtig sind? Und alsdann jedem seine/ihre Lesart?

Gesellschaftlich brauchen wir eine zukunftsorientierte, engagierte Klugheit, in der ›Gender‹ ein Aspekt ist; im literarischen Kontext ebenso. Der Feminismus des vergangenen Jahrhunderts hat ausgedient.

 

Die Schuhe der Feministinnen der 2. Generation passen mir nicht, ebenso wenig diejenigen der jungen Debütant/innen, denn ihre Ausschließlichkeit bin ich nicht bereit zu tragen: Lockenstabsarbeit, Make me beautiful, neoliberales Optimieren – um den Genuss des Kuchens alsdann abzulehnen, weil seine Rache  zu kalorienreich? – Her damit, und ein zweites Stück obendrein: Die ganze Welt!