Legt ihn an die Kette, den Hund, er ist ein Kritiker
Zum Beenden eines Werks, in der Trennung von diesem, erfolgt auch die Übergabe – zuerst an privat ausgewählte Erstleser/innen, alsdann an Lektor/in und Verleger/in, Pressesprecher/in, schon geht es an die Vertreter/innen und die Journalist/innen mit Sperrdatum … bis der Roman erscheint: Ihn den anderen in die Hand geben, und damit auch ihnen überantworten, was sie damit machen, fiel mir besonders bei den ersten drei Romanen schwer. Fürderhin ist es ihnen überlassen. Wie genau sind sie zu lesen in der Lage? Wo schleichen sich Schlampereien ein, spiegeln sich alsdann in ihren Rezensionen, die sie für ein Spotthonorar hastig zusammenschustern? Ja, ich finde es durchaus verständlich, dass sie nicht jede Zeile lesen, sie nicht jeden Abschnitt überdenken – ihre Augen müssen fliegen, sind sie hauptberufliche Kritiker/innen – oder wie viel Zeit wären Sie bereit für eine Pauschale von rund € 70,– zu arbeiten? Zwanzig Stunden? Oder mehr? Denn darunter ist die Lektüre samt Reflexion nicht zu schaffen. Selbst Minijobber, die im mittleren Durchschnitt in Deutschland bei etwa € 7,5 und in Österreich bei rund € 5 liegen, verdienen folglich zumindest das Doppelte. Eine Milchmädchenrechnung, fürwahr, doch wurde sie obendrein noch ohne Berücksichtigung von Steuer und Krankenversicherung gemacht. Oder andersherum gefragt: Wie viele Rezensionen müssten Sie monatlich verfassen, um mit Ihrer Familie zu überleben und welches Feuilleton einer Zeitung räumt der Literatur so viel Platz ein, dass diese Rechnung aufgehen könnte? Simple Antwort auf komplexes Denken: Keine. Im deutschsprachigen Raum leben die meisten im Literaturbetrieb auf Basis einer Mischkalkulation, sie rezensieren daher nebenher. So sehen diese Textporträts dann auch überwiegend aus; lobende Anerkennung sei jeder einzelnen Ausnahme gesprochen.
Schreiben ist Beruf oder
die passionierte Klempnerin kommt sicherlich ohne Honorar aus
»Aber […] wir baten Sie doch, über Frauen und Fiction zu sprechen – was hat das mit einem Zimmer für sich allein zu tun?«
Erinnern Sie sich? Virginia Woolfs erste Zeile ihres Vortrages in Cambridge 1928 wird nicht bloß titelgebend, sondern auch legendär. Und wir wissen heute: es hat sehr viel miteinander zu tun, denn es sind auch die Lebensumstände, die mitbestimmen, ob – oder ob nicht und was entstehen kann. Die Aussage, wir hätten mittlerweile doch durchaus die Wahl, sie uns derart zu gestalten, dass sie unserem Arbeiten entgegenkommen, der Mann sei nicht mehr Oberhaupt der Familie, sein Veto könne uns schnuppe sein und ein Zimmer für uns allein wäre einzig eine Frage des massiven Einmahnens – all das ist korrekt und führt dennoch an der Wahrheit vorbei. An derjenigen der Frauen allgemein wie an derjenigen des Literaturbetriebs im Besonderen. Naturgemäß ist beides für Literatinnen miteinander verquickt. Wie für alle anderen, die als weibliches Wesen geboren wurden und in ihrer jeweiligen Arbeitswelt sich zu behaupten haben …
Wir kennen die Einkommensschere, wir kennen die Recherchestipendien, die eine drei- bis sechsmonatige Präsenz vorsehen, und damit keinesfalls Brotjob oder Mutterschaft. Wir kämpfen in Wettbewerben, die mit Höchstalter zur berechtigten Einreichung versehen sind, ohne Berücksichtigung, dass sich das Arbeitsleben einer Mutter, möglicherweise sogar einer Alleinerziehenden wie dies in meinem Fall Fakt war, anders gestaltet als dasjenige der Herren – die meist an ihrer Seite obendrein eine süße Angestellte mit vierzehn Gehaltszahlungen in schöner Regelmäßigkeit jährlich ihr Eigen nennen. Wir kennen gläserne Decken und ebenso vertraut sind uns die Machismen und kleinen Übergriffe des Alltags, die jede Frau erlebt. Nicht nur der Kritiker und ›Literaturpapst‹ des deutschsprachigen Raumes, Marcel Reich-Ranitzki, riet Literatinnen mit allem gebotenen Ernst der Sache: ›Bekommen Sie keine Kinder. Danach schreiben Sie bloß noch Unsinn.‹ Oder: ›Schöne Frauen können per se nicht schreiben.‹ Gegenstimmen hört man natürlich. Die lauten dann: ›Sie wird es nicht weit bringen, sie ist nicht schön genug.‹ Oder: ›Sie hat noch ein paar Jahre, wenn sie in denen nicht reüssiert, wird es schwierig, sie ist ja dann alt.‹ – Da fragt man sich doch so allerlei, finden Sie nicht? Zum Beispiel was hat mein Körper mit meinem Schreiben gemein? Ist es meine Vulva die über die Güte meiner Fiktion bestimmt? Scheitert meine Sprachvermögen an der Geburt meines Sohnes? Oder hemmt die Menopause meine Gestaltungskraft, meine Imagination? Mir ist weder ein biologischer noch ein medizinischer Zusammenhang bekannt – Ihnen etwa?
›Seien Sie sexy, sonst schaffen Sie es nicht, seien Sie keine Frau, sonst können Sie die Literatur vergessen‹ – das bleibt trotzdem im Gedächtnis, und die Wut darüber in der Seele. Schlichtweg, da wir es zu oft zu hören bekommen. Es verbindet sich vorzüglich mit altbekannten Bildern und koppelt sich gekonnt an jenen Gefährten aller Künstler/innen von der ersten Stunde an: die Existenzangst. Manchmal denke ich gar, wir sind miteinander verheiratet, die Existenzangst und ich; bedauerlicherweise werden meine Scheidungswünsche hartnäckig und vollständig ignoriert. Aufpudeln kann sie sich dann regelrecht, zum Horror werden, und der pocht auf sein Recht, alles in seinen Klauen zu halten, niemals stimme er einer Scheidung zu, vor allem jedoch verwahre er sich gegen eine Trennung von Tisch und Bett, schon lastet sein Kopf auf meinem, presst ihn schlaflos ins Kissen, bis ich um Atem ringe: Genug. Ich kann mir seine Existenz nicht leisten, also dorthin wo der Pfeffer wächst, mit diesem unerquicklichen Zeitgenossen, mir jedoch die Freiheit.
Warum, so frage ich Sie, soll es Literat/innen anders ergehen, als dem Rest der Bevölkerung in einer schwierigen Zeit, in der Honorare stetig sinken, Zynismen wie ›Freistellung‹ und ›Rückgabe von Arbeitsplätzen‹ das schöne Mascherl der Freiwilligkeit haben?
Oder sollen wir uns laut jene Frage stellen, mit der wir uns klammheimlich ohnedies konfrontieren: Vielleicht bin ich nicht gut genug? Zumindest die Künstler/innen? (Von meinen Freund/innen aus anderen Branchen wie Handwerk oder Handel weiß ich, auch sie kommen just zu jenem nagenden Wurm des Selbstzweifels, der sich durch ihre Gedärme schlingt; doch auch bei uns, Künstler/innen, drängt sich ab gewissen Jahresringen diese Selbsterkundigung in die Nächte, die oftmals schon bohrenden Ermittlungscharakter aufweist. Dennoch fällt sie mir leichter als die Frage: Wer verdient an mir? Denn offensichtlich bin es nicht ich.
Die Frau meines Verlegers erklärt, sie verstehe ohnedies absolut nicht, weshalb jemand auf die Idee komme, Literatur zum Beruf zu machen, die sei doch bloß ein Nebenher – von anderem könne man träumen, ein Recht dazu, es zu sein, habe man trotzdem nicht – außer man verdiene daran wie Umberto Ecco, Henning Mankell oder Paulo Coelho.
Was mir auf der Zunge liegt, antworte ich ihr nicht: Erstens sind es allesamt Männer, die weiblichen Beispiele wären eher im ›Rosaroten Roman‹, wie meine kubanischen Freund/innen diese Unterhaltungsheftchen nennen, zu suchen, und sie wolle mir doch nicht ernsthaft vorschlagen, ich solle mich in jenen Bereich begeben?
Nicht jedoch hinabzuschlucken gelang mir die Aussage, in geblockten Ferienwochen, wie sie diese vorschlage, also rund fünf, sei ein umfassender Roman in exzellenter Güte niemals gewissenhaft zu erarbeiten, selbst wenn alle Vorarbeiten bereits geleistet wären. Solche Zeitenge ließe einem keine andere Wahl als ihn zusammenzuschlampen. Das Elend, sage ich ihr, liege anderswo: Keiner erwarte von einem Arzt eine Diagnose ohne eingehende Betrachtung, vielleicht holt er sogar eine zweite Fachmeinung ein, das findet jede/r legitim. Keiner erwarte von einer Klempnerin eine Reparatur, weil sie es gerne tue, oder engagiere einen Maurer mit der Aufforderung, er möge sich doch selbst verwirklichen. Und davon, dass einer Bäuerin oder einem Besitzer einer Immobilie gesagt würde, er oder sie habe ›es‹ ja ohnedies, wie könne er oder sie dafür also ein Honorar einfordern, habe ich auch noch nie gehört Künstler/innen hingegen mute man solche Arbeitsbedingungen zu … Daraufhin schwieg sie.
Meine Kinder sind mittlerweile erwachsen, ich habe derweilen selbst ein Zimmer-für-mich-allein ergattert; mehrere sogar. Brauche mich auch kaum mehr zu fragen, wann schreibe ich von Kinderlärm ungestört und wird mein Sohn ins Lesungsexemplar kritzeln, weil er ja gleichfalls ›Autor‹ ist? (Die Phase hat er – allen Himmeln sei Dank – mit acht und der Erkenntnis der Mühsamkeit des Erzählens, mit neunzehn und dem Elend der einsamen Buchhaltung überwunden.) Nun, mit 45 8/9 frage ich mich, wie lange währt meine Arbeitskraft noch, die bereits von einem sechzehn auf einen vierzehn-Stunden Tag, sechs Mal die Woche sank? Wann wird die Wirbelsäule, insbesondere diejenige des Halses, so sehr schmerzen, dass die Fähigkeit zu sitzendem Tun, konzentriert und fokussiert, auf acht oder gar sieben sinkt?
Als ich einem älteren und wohlsituierten Bekannten erzürnt über sein Insistieren auf einem Treffen die Verhältnisse eines mir normalen Tages benannte und sie mit müder Miene illustrierte, erklärte er: ›Du brauchst Personal.‹ Damit artikulierte er durchaus eine Wahrheit. ›Du zahlst € 24,– für meinen Roman im Laden‹, entgegnete ich, ›davon erhalte ich € 2,20; abzüglich Sozialversicherung und Steuer bleiben mir € 1,10 pro verkauftem Stück. Du bist der Ökonom, rechne weiter …‹
Weitere Details dieses Trauerspiels wollen wir einander ersparen … Nicht jedoch die Frage: Wozu schreiben?