In Ingeborg Bachmanns Roman »Malina« (Piper Verlag) reflektiert eine Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht kennen, ihr Sein, welches sich zwischen ihrer Arbeit als Literatin, ihrem Leben als Frau, den Bezügen zu Ivan sowie zu Malina und der prägenden Erfahrung maskuliner Patriarchatsdominanz während der NS-Zeit aufspannt. Final erkennt sie, dass darüber zu schreiben, die schmerzvollste Todesart ist, denn Schreiben bedeutet auch, ein Traumata zu ahnen oder zu erkennen. Sie verschwindet daher in einer Ritze der Wand. »Es war Mord.« – lautet der Schlusssatz, wohl einer der bekanntesten der Weltliteratur. Nun jedoch, Seite 33:
Legen wir zu Beginn gleich einmal ein Augenmerk auf die strukturierenden Wiederholungen, welche diesen Erzählabschnitt von Anfang an prägen:
In Zeile 1 heißt es »[…] böser Blick […]«. Diese Fokussierung der Wahrnehmungsvariante Auge wird geringfügig modifiziert in Zeile 2 zu: »[…] ich diesen entsetzlichen Blick verliere […]«; was alsdann übergeht in »[…] ich erinnere mich nicht, erinnere mich nicht …«, und endet hier im langsamen Verhallen, welches durch die drei Punkte symbolisiert wird.
Sogleich – jedoch in Klammern gesetzt – wird die Repetition als Stilelement erneut aufgenommen, dieses Mal ist es das Wort ›noch‹, der Adressat wird ein ›Du‹:
»(Noch kannst du es nicht, noch immer nicht, vieles stört dich …)« (Z 5–6)
Die Wendung ›noch nicht‹ wird zwar durch die Klammer zum Beiwerk erklärt, unterstützt dennoch gleichzeitig den zuvor initiierten Gedankengang, indem – abgesehen von der inhaltlichen Parallele Blick–Erinnern – der gleiche sprachliche Gestaltungsmodus dafür gewählt wird.
Den Spannungsbogen nährt bei dieser Art der Wiederholung als Stilelement das Angedeutete, das Unklare – eine Technik, die zumindest solange exzellent funktioniert, wie dem Leser, der Leserin einerseits zur Füllung der Leerstellen, die sich ob einer Sprache der Andeutung auftun, genügend Futter geboten wird, um keine Frustration entstehen zu lassen, andererseits permanent neue Fragezeichen hinzugefügt werden: Auf Löcher und Unklarheiten folgen Hinweise, beinahe ein Verstehen, neue Zweideutigkeiten werden eröffnet, gefolgt von weiteren verschwimmenden Erzählelementen … Dass die Literatin Ingeborg Bachmann in dieser Technik Meisterin ist, zeigt diese Seite!
Das Vage, welches durch dieses Erzählmanöver entsteht, dient zudem auch der Kreation einer gewissen Atmosphäre und Stimmung während des Leseaktes. Dies findet sich gespiegelt im Duktus der Ich-Erzählerin. Es entsteht der Eindruck, als würde Schicht um Schicht aus feiner, hauchdünner Gaze fortgezogen, wobei die eine Ebene oft kaum etwas mit jener zu tun hat, die im nächsten (Halb-)Satz unter ihr sichtbar wird:
Ein weiterer Effekt, den dieses Strukturelement mit sich bringt, ist der obsessive Rhythmus; hierzu als Beispiel Zeile 11 bis 15:
»Obwohl es [Was?] einmal [Wann?] alle [Wer ist das?] wußten, aber da es heute keiner [Wer ist keiner?] mehr weiß [Wie kann dieses Ich also davon erzählen? Oder wird sie es nicht tun?], warum es heimlich zu geschehen hat, warum ich die Tür schließe [Aha!], den Vorhang [Nächstes Irritationsthema – wieso Vorhang, metaphorisch gemeint oder ein realer? Tür mit Vorhang? Dämmstoff?] fallen lasse, warum ich allein vor Ivan trete [Aha!], werde ich einen Grund [Einen? Demnach gibt es auch andere?] dafür verraten.« (Z 11–15)
An dieser Passage lässt sich gut die gekonnte Technik des Herantastens beobachten. Satzteil um Satzteil häufen sich mehr Fragen aufeinander, eine Teilantwort wird gegeben, man denkt, nun werde Schritt für Schritt, was zuvor unklar war, enthüllt, und wird sogleich enttäuscht, denn das Einzige, was folgt, sind die nächsten Fragen, noch mehr Unklarheiten … Wer darauf mit Ungeduld reagiert, liest an diesem Kunstwerk vorbei. Eine solche Schreibweise zu etablieren, bedarf des Vertrauens: Ich als Literat*in vertraue darauf, dass meine Leser*innen mir durch das Labyrinth folgen werden, da sie wissen, dass ich Relevantes zu sagen habe und mit diesem von mir bewusst gewählten Gestaltungsmodus sicherlich eine Intention verfolge. Sie sollen das Stimmungsbild erleben dürfen, das so erzeugt wird, die Atmosphäre, die so geschaffen wird, um das Labyrinth eines Lebens nachzuempfinden und zu ertragen: Das ist die Aufgabe solcher Passagen.
Hätte eine Klarheit der Aussage erzielt werden sollen, wäre dies Bachmann mit wenigen, knappen Hauptsätzen sicherlich gelungen. Sie jedoch wählte sich bewusst einen anderen Klangraum, eine Form des Erzählens, welche eine verzögerte und daher dem Realismus verpflichtete Ankunft des Inhalts bei ihrer Leserin, ihren Lesern unterstützt. All dies belegt Bachmanns Komposition aus Wortwahl, Interpunktion, rhythmisierend gesetzten Wiederholungen und Auslassungen. Zwischen solchen Passagen etabliert sie Ruheinseln, denn der untere Abschnittsbeginn, welcher eher Fragen auf Fragen häuft, denn Antworten gibt, mündet in die alsdann folgenden zwei Erzählungen von Begebenheiten:
Malina respektiert die Botschaft ihres Arbeitszimmers, als eines Ortes, an dem das Alleinsein nottut, mag die Tür nun offen oder geschlossen sein: Darin herrsche stets eine hermetisch abgeriegelte Welt. Auch Lina, die Putzfrau, reinigt dort nicht.
Die Abnormität im Normalen – »[…] als wäre dort gar kein Raum […]« (Z 21) – bildet die Eingangspforte zu Ivan, von dem es zuvor hieß: »[…] warum ich allein vor Ivan trete […]« (Z 13–14). Nun wird der Charakter des Sonderbaren nochmals unterstrichen, indem es im ersten Satz über Ivan heißt: »[…] Ivan und ich schleifen, rädern, foltern und ermorden einander nicht […].« (Z 26–27) Die finalen acht Zeilen der Seite sind nunmehr der Darstellung dessen gewidmet, wie sie miteinander umgehen, wobei sich das Miteinander auch in der Verwobenheit zeigt, von Ivan zum Ich – das ist die dargestellte Bewegungsrichtung: Was bewirkt das Wie seines Seins in dieser Ich-Erzählerin; ein Beispiel:
»Weil Ivan mich nie fragt, nie misstrauisch ist, mich nie verdächtigt, schwindet mein Verdacht.« (Z 29–31) – der unsere hingegen wird in diesem Dickicht auf kluge art und Weise genährt: Wer existiert hier vor der Folie des jeweilig anderen?
Als Referenztext genutzt, bestünde eine mögliche Aufgabenstellung in dem Versuch, ein Spiel aus Unklarheit, Andeutung, Zurücknahme, weiterer Andeutung, Zweideutigkeit etc. zu gestalten, die in die Darstellung eines relevanten Verhältnisses, einer aussagekräftigen Begebenheit als Ruheinsel mündet …