Von forcierter Klon-Literatur
Konzernverlage, so Kristine Listau, seien ihres Erachtens jedenfalls in den letzten Jahren weniger risikofreudig geworden. Sie nehmen weniger gerne literarisch schwierige, komplexere Themen an, deren Vermarktung diffiziler ist. Diesen Schluss habe sie auf Basis ihrer früheren Tätigkeit als Agentin gezogen. Auch Nina Arrowsmith kennt die Bedenken größerer Verlage aus eigener Erfahrung. Es sind eben nicht mehr die kleinen Buchhandlungen um die Ecke, die den Ton angeben, sondern die großen Ketten: »Das führt zu einem gewissen Orderverhalten der Zentrallager oder der Internetanbieter. Dort wird das verkauft, was gut läuft. So wird dann auch bestellt. Und immer mehr versucht, diesen Erfolgen noch einen drauf zu setzen: Das hat schon einmal funktioniert, dann wollen wir es noch mal. Diese Entwicklung vermitteln uns die Verlage, sodass wir manchmal gar keine Chance haben, originelle Stoffe durchzusetzen, weil sie nicht das sind, was heute alle einkaufen wollen. Sagen wir dann, ›Das könnte aber übermorgen wieder anders sein, schaut es euch doch bitte an!‹, rennt man manchmal gegen Mauern. Visionäre Menschen, die sich durchaus über einen anderen Stoff trauen«, die gäbe es trotzdem, meint sie. Und dennoch zweifle ich. Ausreichend Mut für das Wagnis Literatur als Kunst haben offenbar nicht viele. Gut ist, was sich schon einmal verkauft hat, inhaltlich wie formal. Die Umsatzrendite fordert und zieht etwas nach sich, dass ich Klon-Literatur nenne. Es korrespondiert so schön mit ›Autor*in als Marke‹. Blöderweise führt es jedoch zu tödlicher Langeweile in der Lektüre. »Ja«, bestätigt Jörg Sundermeier vom »Verbrecher Verlag« diese Tendenz, »man läuft Themen nach, die funktioniert haben, und versucht, erzielte Erfolge zu wiederholen.«
Das mache sicherlich das intendierte Verlagsprogramm planbarer; fördere außerdem ungemein die übersichtliche Bürostruktur, ätze ich. Schließlich bedürfe es alsdann nur der Anschaffung einer stimmigen Anzahl an Architektenschränken, säuberlich etikettiert, damit man sogleich wisse, was man suche: »Powidltascherlmord« und »Rastafaripop«, »Nachtbiss« oder »Wiener Thrill«, »Leichtfüssige Vergangenheiten: Schonkost«. Famos nährstoffreich, solche Denke, vor allem für das Epigonentum. Passionierte Leser*innen werden irgendwann zwar nicht das Handtuch werfen, aber die zeitgenössische Literatur in die Ecke, um sich den Jahrhunderten vor uns zuzuwenden. Wäre ich nicht Literatin, würde ich hinzufügen, das schade auch nichts …
Auf jeden Fall bringt dieses Streben nach wiederholbaren Erfolgen ganz offensichtlich mehrere meiner Gesprächspartner*innen auf die Palme. Insbesondere der Agent Alexander Simon versteht meine Sorge: »So blöd ist der Leser nicht, dass er nicht merkt, was da passiert. Es ist einfach ein Ausdruck der Phantasielosigkeit: ein intellektueller Offenbarungseid.«
Im Zusammenspiel mit neuen technischen Möglichkeiten hat dies zu einer skurrilen Entwicklung geführt: Die Novität am Markt ist ein EDV-Programm, welches berechnet, ob ein Titel aufgrund seiner Themenfarbe und seines Sprachstils eine Chance auf den nächsten Bestseller habe. Die Branche arbeite also frohgemut an ihrem eigenen Untergang, ätze ich. Nein, man versuche zu steuern, entgegnet die Agentin Nina Arrowsmith: »Der Konzentrationsprozess wirkt sich nun auch auf die literarischen Publikationen aus. Es werden Trends bedient, und es wird versucht, Leuchtturmtitel mit vereinten Kräften zu solchen zu machen, es nicht dem Zufall oder dem Leser zu überlassen. Da arbeiten Verlage, Agenturen und Buchhandel Hand in Hand.« Die Effizienz solcher Steuerrad-Bemühungen wird von Alexander Simon als einzigem meiner Gesprächspartner*innen pointiert infrage gestellt. Wiederholt habe er die Mitarbeiter*innen des Vertriebs gefragt: ›Wenn ihr so genau wisst, was funktioniert, erklärt mir eines: Warum schwimmt ihr nicht in Geld?‹ »Wir stochern ja alle im Dunkeln! Es ist vollkommener Unfug zu sagen, das Buch muss die und die und die Voraussetzungen erfüllen, sonst wird es nicht erfolgreich. Das mag auf das Genre zutreffen, aber nicht auf den Rest. Und ihr wollt mir nun erzählen, warum der Text und das Cover und der Titel so und so getrimmt werden muss?«, echauffiert er sich in Erinnerung an ewig gleiche Dialoge. Über die Vertriebswege wissen diese Fachleute mit Sicherheit weitaus mehr, da menge er sich nicht ein. »Doch uns Inhaltsleuten erklären zu wollen, welches Buch funktioniert und welches nicht? Da kann ich nur herzlich darüber lachen.«
Kehrseite dieses Drehens am Steuerrad ist, dass auch in großen Verlagen die Bewerbung der sogenannten Midlist zunehmend den Literat*innen zugeschoben wird, ein Gebaren, dass den Kreativen aus den kleineren Häusern ohnedies bekannt ist: Dort wird seit jeher Hand in Hand gearbeitet, festangestellte angeheiratete Verwandte, welche die Pressearbeit leisten, sind selten (geworden). Die Mehrheit von ihnen arbeitet eher stundenweise, in Teilzeit.
Gegen Steuerräder und Sparsamkeit wäre keinesfalls etwas einzuwenden, dennoch gilt es zu bedenken, wohin werde gesteuert, mit welchem Ziel, woran werde gespart und auf wessen Kosten. An die größeren Publikumsverlage gewandt bleibt der Wunsch, sie hätten mehr künstlerischen Mut. Darin, so Alexander Simon, seien die Unabhängigen den Konzernverlagen voraus: »Weil sie nicht dieses Korsett haben, in das alles passen muss, weil sie keinen übermächtigen Vertrieb, kein übermächtiges Marketing haben, dass ihnen vorschreibt, was Sache ist.« Doch sind, so denke ich mir nach zwanzig Jahren der Zusammenarbeit mit ihnen, zu oft ihre Hände gebunden. Ihr Wunsch zu verlegen, wurde mit zunehmender Dauer und Involviertheit zum Druck, den sie an ihre Literat*innen oft ungefiltert weitergeben. Das professionelle Arbeiten leidet darunter wie ein geprügelter Hund.
Die Unabhängigen krempeln (nicht immer) die Ärmel hoch
»Wir sollten damit aufhören, was immer zum Geschäft gehört hat: zu jammern«, so Kristine Listau vom »Verbrecher Verlag«. Und uns lieber auf die Arbeit konzentrieren, ergänze ich in Gedanken. Die hat sich nämlich noch nie von alleine erledigt – bedauerlicherweise, wie ich manchmal an den schläfrigen Rändern meiner 98-Stunden-Woche denke. »Wir haben immer mehr Druck, immer weniger Zeit. Man merkt, dass das an die Substanz geht«, erzählt die unabhängige Verlegerin Daniela Koch. Es bleibe kaum Zeit, um auf Anfragen zu antworten, »den Vorschlag anständig prüfen, mit einem Argument ab- oder zusagen. Manchmal kommt man sich vor, als renne man kopflos durch die Welt. Dann fragt man sich: Was mache ich denn hier. Natürlich geht es nicht nur uns Verlegern so, aber ich frage mich schon, wie es zu realisieren wäre, dass wieder ein bisschen mehr Ruhe in die Branche einzöge, Zeit für Überlegung. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit.«
Ja, auch wir in der Geschwisterrunde der Mischpoche kennen das Lied. Oft entsteht der Eindruck, dem Werk könne keine Zeit zum Reifen gewährt werden, die Entstehung wachse nicht mehr organisch aus dem kreativen Arbeitsprozess; ebenso wie diejenige für gewissenhaftes Lektorat, finales Korrektorat kaum noch gewährt wird. Denn Zeit ist Geld; selbst wenn die gesamte Mischpoche weiß, dass die Qualität der Arbeit elend unter diesem stetig zunehmenden Tempo leidet.
Die Agentin Nina Arrowsmith zieht von diesem Befund im Dialog mit mir den Bogen zu einer Gesellschaft, die sie gekennzeichnet von ADHS sieht und die in dem Anspruch, alles müsse immer noch schneller gehen, sich fortwährend überlaste, um alsdann japsend auf das Sofa zu sinken. Wen solle es daher noch wundern, dass Romane nicht mehr zur Bildung gelesen werden, Lyrik ein zu vernachlässigender Faktor geworden ist und die Leser*innen in ihrer Freizeit vor allem eines wünschen: Ruhe. – Nicht zu verwechseln mit Stille, bitte sehr. »Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen in der Rushhour des Lebens eher entspannen wollen; und so geben sie dem Buchhandel vor, wohin sich die Literatur verändert. Und die geben es an Verlage, Agenturen und Autoren weiter. Es überträgt sich zunehmend auf andere soziale Milieus, dass die Bereitschaft, sich in der Freizeit auf komplexe literarische Experimente einzulassen, sinkt.« Dass aber just jene durch die Verlangsamung, die sie bei ihrer Lektüre benötigen würden, einen positiveren Effekt auf unser Leben hätten, als die vermeintliche Feel-Good-Literatur in ihrem vie en rose, die einen alsdann erst recht in die Konfrontation damit bringt, dass im eigenen Leben nichts rosarot ist, die gesamte Umwelt keineswegs zur eigenen Rettung eilt und das Liebesglück keine Gewähr hat, sondern vielmehr mühselige Kleinarbeit Tag für Tag bedeutet, das entgeht unserer oberflächlichen Marketingwelt, ergänze ich. Dennoch glaubt Nina Arrowsmith fest daran, die momentane Entwicklung werde auch wieder zu einem Rebound-Effekt führen, das Verlangen nach komplexerer Freizeitgestaltung werde wiederkehren, sich das bloße Komaglotzen irgendwann von allein erschöpfen, da diese Serien »doch sehr konventionelle Plots« aufweisen: »Das wird sich abnutzen, und dann wird die Sehnsucht nach besonderen Stimmen wieder größer. Es unterliegt ja immer gewissen Zyklen, was in der Gesellschaft und in der Literatur passiert, diese kulturellen Entwicklungen wiederholen sich. Es wird wieder in die andere Richtung gehen.«
Also abwarten und Tee an Deck des Schiffes trinken, wiewohl es ein ordentliches Leck hat?
Nein, findet Alexander Simon und legt sogleich ein paar Wahrheiten auf den Tisch: »Man hat viel zu lange damit gewartet! Man war viel zu lange überheblich und meinte, solange man in den Rückspiegel gucke, wisse man, wie es weitergehe. Das hat, glaube ich, mittlerweile jeder begriffen, dass das nicht die richtige Herangehensweise ist.« Es tue dringend not vor allem die Kernkompetenzen der Branche zu stärken: »Das ist die Qualität der Bücher. Viele Titel werden an freie Lektoren weitergegeben, die miserabel bezahlt werden, dementsprechend schnell müssen die arbeiten, dementsprechend schlampig arbeiten sie. Die Leser, die dadurch enttäuscht sind, die verlieren wir. Ich würde sogar vermuten, die gewinnen wir gar nicht mehr zurück. Fehlerhafte Bücher: Das sind Dinge, die dürfen uns nicht passieren, die können wir uns nicht mehr leisten.«
Gespart werde, sagt Alexander Simon, in manchen Konzernverlagen eindeutig »an den falschen Ecken und Enden. Nämlich im Literaturlektorat. Oft gibt es nur noch ein Korrektorat: ein kapitaler Fehler!« Noch schlimmer sei es in manchen der unabhängigen Verlage, füge ich hinzu, da die Tarife, welche unsere freiberuflich tätigen lektorierenden Nichten und Neffen erhalten, sie gleichfalls zu einer Mischkalkulation zwingen, ihnen weder eine konstante Arbeit mit einem von uns noch mehrere lektorierende Lektorate meist gar nicht möglich sind. Die Schere klafft auch in ihren Leben wie allerorts in der Gesellschaft.
Dabei, so Alexander Simon, könnten Verlage an anderen Stellen durchaus sinnvoll sparen. »Auf den Messen beispielsweise: Man braucht nicht so riesige Messestände, man braucht keine großen Messeparties, die sehr viel Geld kosten. Man muss nicht zehn oder zwanzig Lektoren eines Verlags auf eine Messe schicken. Das ist vollkommener Unsinn! Es muss nicht jeder Programmleiter von einem mittelgroßen Verlag zwei Mal im Jahr nach New York fliegen – das alles ist in meinen Augen nicht nötig. Es rechnet sich auch nicht.«
Mein Weg von ihm zu einem anderen Verwandten führt wieder einmal an den Kojen und Inseln der Selfpublisher vorbei, und ich denke an das kubanische Sprichwort »Geld ruft Geld«. Nirgends sonst auf dieser Messe sind so viele Mitarbeiter des jeweiligen Standes unterwegs wie hier, vielleicht laufen ihnen noch S. Fischer und Rowohlt ihnen nach, doch ansonsten? Ihr Geschäft mit der Hoffnung blüht jedenfalls und finanziert den nächsten Wahn. Ähnliches beschäftigt Anya Schutzbach, Verlegerin bei »Weissbooks«, die Selfpublishing vor allem als ein Feld für das Hobby sieht, denn im Fokus stehe ebenda, »das Bedürfnis des Schreibenden zu befriedigen«. Ein Verlag jedoch habe »das Bedürfnis der Leser zu befriedigen – also das ist ein ganz anderes Geschäftsmodell!« Deshalb seien für sie die Kernaufgaben mit »Geist und Geld« umrissen, jede Verlegerin sei ihres Erachtens Kauffrau und Suchende in Personalunion. Offenbar trägt auch sie Alexander Simons wohltuenden Ausruf »Jammern hat noch nie geholfen!« aus innerster Überzeugung mit und gehört zu denjenigen, die lieber die Ärmel hochkrempeln: Unabhängige Verlage seien mehr denn je gefordert, kreative Lösungen zu finden, »um weiterhin die Bücher machen zu können, die sie machen wollen, um sich nicht ganz einem Markt zu unterwerfen, der immer mehr dem Mainstream anheim zu fallen droht; weil wir Leser verloren haben, das Bildungsniveau gesunken ist, anspruchsvolle Literatur es schwerer hat. Wir müssen die ökonomischen Mittel auftreiben, um diese weiterhin machen zu können.« Eine der Lösungen, die sie hierfür fand, ist der Zusammenschluss von »Weissbooks« mit dem »innerlich verwandten ›Unionsverlag‹. Wir teilen das gleiche verlegerische Credo. Der eine macht die internationale Literatur, der andere die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Und zu zweit sind wir stärker, als wenn wir Einzelkämpfer blieben. Möglicherweise ist es eine Chance, dass sich unabhängige Verlage zusammentun, ohne sich zu konkurrenzieren – nur zu groß dürfen wir nicht werden; um wendig zu bleiben.«