Ist Literat*in ein Beruf?
In den unabhängigen Verlagen wird Treue groß geschrieben. Im »Verbrecher Verlag« gilt diese sogar für Autor*innen, die zwischendurch einen Ausflug in größere Häuser unternommen haben: Einmal Verbrecher, immer Verbrecher, scheint die Devise zu lauten. »Diese Treue heißt aber auch, dass wir planen müssen. Momentan sind wir bis Ende 2020 ausgebucht.«
Gleichfalls müssen wir Literat*innen mehr denn je planen. Wer sein Arbeitsleben klug organisiert, braucht Zeit dafür. Neben der eigentlichen Schreibarbeit, hat man versiert in PR und Marketing zu sein, die Stunden hierfür fressen nicht nur an der Schreibarbeit, sondern ebenso an der Nachtruhe. Netzwerken lautet seit längerem bereits das Zauberwort – oder wie es einer, der Verleger, mit denen ich zusammenarbeitete ausdrückte: Gehst du nicht ständig mit denen auf ein Bier, kannst du deine gute Arbeit einpacken und im Keller verstauen … Zeitmanagement ist also gefragt; und eine abenteuerlustige Seele. Obendrein sind sieben Nebenjobs geistig brillant und hellwach zu bewältigen, während man versucht, müde Augenringe tunlichst zu verbergen. Und am besten gar nicht zu altern, denn habe einer unserer Cousins aus der Presse-Mischpoche ausnahmsweise mal Platz im Feuilleton, sich zwischen Frischfleisch und alten Hasen zu unterscheiden, wähle er lieber die visuelle Jugend, welche sich gut ins Bild setzen lässt, personifizierter Optimismus und ›Aufwärts geht’s!‹ statt Mittelalter – selbst wenn meine Geschwister in jenem Alterssegment wahrscheinlich Sinnvolles und Fundiertes zu sagen haben. Schließlich lebt jede Nachricht vom Bild, visuelles Storytelling heißt die Devise.
Beruf, beruof, Leumund, innere Bestimmung
Trotzdem scheint keinesfalls Konsens darüber zu herrschen, ob dieses Tun ein Beruf sei, welches uns Geschwister rund um die Uhr beschäftigt hält, und dies frei von der belastenden Entscheidung, wo wir unseren heurigen Urlaub zu verbringen gedenken oder wofür wir das Geld unserer Rente später aufwenden wollen. Manche wie Jörg Sundermeier oder Alexander Simon verweisen deshalb auf die Verwandtschaft zur ›Berufung‹. Mir jedenfalls klingt ›Beruf‹ nach mittelhochdeutsch ›beruof‹, was ›Leumund‹ bedeutet, und von Martin Luther in jenem Sinne der ›inneren Bestimmung‹ gebraucht wurde. Der Aspekt einer ›Erwerbstätigkeit‹ kam erst viel später hinzu; ein weiterer Terminus, der per se keine Auskunft darüber gibt, ob jene zum Leben genügen möge oder nicht. Im Gegensatz dazu herrscht in der restlichen Mischpoche große Einigkeit hinsichtlich der Frage nach der Finanzquelle: Bruder oder Schwester sollte das Geld tunlichst anderswo verdienen. »Es sei denn, man ist auf Abenteuerlust aus und nicht für andere Menschen verantwortlich; dann kann ich nur sagen: Mach es, wenn es dein Traum ist. Träum ihn, aber erwarte nicht von anderen, dir dein Leben dafür zu finanzieren«, bringt es der Agent Alexander Simon auf den Punkt. Auch ich wasche meinen Studierenden gehörig mit der Realität unseres Lebens den Kopf, kommen sie mir damit, dass sie bloß eines wollen würden: schreiben. Von Verlags-Eltern klingen die Sätze eher wie schwere Seufzer: »Ich bin immer froh, wenn unsere Autoren einen Job haben.« – Einen? Freiberufler*innen brauchen sieben oder acht, um ihr Eichhörnchendasein zu managen! Von all dem abgesehen spricht man nicht über Geld. Schon gar nicht als Frau.
Nie vergessen werde ich die gemeinsame Lesereise vor zwei Jahren mit Antje Rávic Strubel durch den Mittleren Westen der USA, die einen Veranstalter nicht in meiner tastenden, vorsichtigen Art zum Honorar befragte, sondern unmissverständlich und nüchtern meinte: ›Und wie wollen Sie unser Honorar bezahlen – per Überweisung oder in bar?‹ Auch alte Hasen lernen noch Lektionen! Antje wird übrigens im Rahmen der Buchmesse der »Preis der Literaturhäuser« verliehen, was mir eine ungeheure Freude ist, seit ich im Vorfeld der Reise davon las, da ich diese Schwester meiner Mischpoche überaus schätze. Gemeinsam werden wir heute hier unsere Mittagspause verbringen, uns in irgendeine Ecke davonstehlen, um in Ruhe zu reden: Über Ghostwriting und schreibende Geister, über die Sprachinseln der Subkulturen und unser Vergnügen am Wortspiel mit diesen ungewohnten Silbenkombinationen …
Es verblüfft mich stets aufs Neue, dass in heutigen Zeiten nicht eine größere Anzahl meiner Verwandten in der Mischpoche eine Differenzierung zwischen ›Beruf‹ und ›Job‹ vornehmen. Also zwischen demjenigen, was der ›inneren Bestimmung‹ und in unserer Lebensrealität dem Nektar entspricht, und demjenigen, was zu tun nötig ist, weil es uns den Rest serviert. Außer man hat das Glück einer Erbschaft oder eines Mäzens, die reiche Erbtante, kinderlos, kennen nicht nur unsere bulgarischen Geschwister, nein, davon träumen wohl alle, weshalb eher Realität bleibt: Gefragt hat nach deiner Kunst keiner, gerufen hat dich gleichfalls keiner – und richten werden alle über jede Zeile, die du schreibst. Also: Komm selber klar … Tun wir. Ich habe selten so viel über diese Welt gelernt wie als Rezensentin, Zimmermädel, Ghostwriterin und Putze, Uni-Dozentin, Kindermädchen, Nachhilfelehrerin, Filmstatistin und Hörfunk-Assi, von Markt- und Meinungsforschung ganz zu schweigen. Wie sonst soll man in Ermangelung der Erbtante die drei Kinder als Alleinerziehende durchbringen?
Bedauerlicherweise wird ja Erzählkunst »bei Literaten nicht in Arbeitszeit gemessen, sondern in anderen Größen.« Mit dieser Wortmeldung bringt mich Daniel Mursa herzlich zum Lachen, daran ändert auch sein nachgeschobenes »Leider!« nichts mehr. »Unbezahlbar wäre dann Literatur. Was jedoch keinesfalls sein darf, ist, dass man Autoren sagt: ›Was willst du dafür Geld, sei froh, dass du –«, und er hält inne. Ich aber ergänze, was ich oft genug zu hören bekam: »… arbeiten darfst.« Jene Frechheit, die man keinem anderen Erwachsenen je ins Gesicht sagen würde. Daniel Mursa hingegen ist diplomatisch und entscheidet sich für: » … ›Sei froh, dass dein Buch gedruckt wird.‹«
Auf eigenen Füßen
In Zeiten der Krisen wiederholt sich, was wir aus der Literaturgeschichte schon kennen. Manche Literat*innen verabschieden sich derzeit von den Klein- und Kleinstverlagen, um sich »zusammentun und einen eigenen Verlag zu planen«, so der Agent Daniel Mursa, der dieses Phänomen damit begründet, dass jene Geschwister den Schluss gezogen hätten, was ihnen des Schreibens wert wäre, passe ebenso wenig in die Schubladen der Programmkonzepte wie sie selbst. Ich könnte drei weitere schlüssige Argumente hinzufügen: Die Enttäuschung über die vorgefundene, undurchdringliche Struktur der Branche, welche die Hand, die sie mit Geschichten füttert, beißt oder auf die Abrechnung der Tantiemen jahrelang ›vergisst‹; die Konzentration auf einen einzigen Spitzentitel, die Delegierung jedweder PR für die Midlist an Autor*innen; der Unwille, sich an ›den Markt‹ und einen ominösen Mainstream-Leser anzupassen, der tunlichst bedient zu werden hat. Diese Frustration teilen sich übrigens nicht nur meine Geschwister in der Mischpoche, sonder während der vergangenen zwei, drei Jahre beklagten Leser*innen mir gegenüber in Werkgesprächen, Postings oder e-Mails zunehmend die platte Sprache der Gegenwartsliteratur: 5-Wort-Sätze, die im ›und dann‹-Stil des Schulaufsatzes tönen, vorhersehbare Plots und Langeweile: Ein Schmarren seien die meisten Novitäten. Trotzdem höre ich seitens der Lektorate, im Branchengetratsche der Geschwister meiner Mischpoche, dass die Bitte um eine immer noch einfachere Sprache, einen noch immer einfacheren Aufbau wiederholt werde: Keine komplexen Sätze, keine verwobene Struktur, die ein Mitdenken erfordert, das überfordere das Publikum, welches entspannen wolle, abschalten wolle! Und erst das Vokabular, viel zu ausgefallen! Diese Wörter kenne doch niemand mehr, und bitte, wieso hier Konjunktiv, Genitiv – ›sowas‹ verwendet kein Mensch, mögen sie korrekt sein oder nicht!
Kontere ich damit, dass der Klangraum, der hierdurch erzeugt werde, für Figurenduktus sowie Erzählraum stimmiger sei, seufzt man und schweigt. Oder auch nicht; denn es ließe sich durchaus anders erzählen: Seit Klaus Kastberger ernsthaft eine pauschalisierende Maxime aus seiner Ansicht destillierte, ein Wort wie ›darob‹ könne in der heutigen Literatur nicht mehr verwendet werden, trage ich mich mit dem Gedanken, ihm das Gegenteil in einem Roman mit dem Titel »Darob« zu beweisen, der ein Spiegelbild der Prämisse sein könnte, alles sei einzig abhängig vom Kontext des narrativen Raumes, der in einem Werk dargestellt werde, weshalb Sprachstoppschilder in der Literatur keinen Platz haben, selbst dann nicht, wenn sie von mir ansonsten sympathischen Großonkeln der Mischpoche hochgehalten werden.
Jörg Sundermeier: »Es ist immer merkwürdig, wenn das Lektorat seine Kundschaft für dümmer hält als sich selbst. Mehr kann man dazu nicht sagen.«
»Doch!«, widerspricht seine Partnerin im »Verbrecher Verlag«: »Wir haben gesehen, dass das Fernsehen daran zugrunde gegangen ist, dass es das Publikum für total dumm gehalten hat, und jetzt? Schaut niemand mehr fern.«
Darob!
Möge uns eine Analogie in der Literatur erspart bleiben, sage ich, und kann mich des Verdachts nicht erwehren, wir hätten es bereits mehr oder minder vergeigt. ›Bitte kein Defätismus, liebe Doktorin! Wir machen trotzdem weiter Bücher! Weil die Welt Bücher braucht‹, antwortet mir Anya Schutzbach aus meiner Erinnerung an unser morgendliches Gespräch. ›Wo kämen wir denn hin, würfen wir gleich die Flinte ins Korn?‹ In Wahrheit und wortwörtlich sagte sie jedoch:
»Wenn Sie mich als Privatperson Anya Schutzbach fragen, gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich könnte jetzt gleich in eine ganz große kulturpessimistische Suade verfallen. Es ist vielleicht auch ein bisschen unsere Generation: Wir sind Menschen des letzten Jahrhunderts!« Ich kann nicht anders als haltlos zu lachen. Recht hat sie ja! Da sitzen einander zwei Relikte auf einer Leseinsel gegenüber, und zerbrechen sich den Kopf, wie das, was ihnen im Leben überaus relevant sei, zu retten wäre. »Ich will nicht so pessimistisch sein, weil ich glaube, dass sich Sprache immer mit einer Gesellschaft entwickelt. Das ist nichts, was man beklagen darf. Es ist einfach so. Die Welt ist immer noch nicht untergegangen, und es gibt nach wie vor ein breites Spektrum anspruchsvoller Literatur. Wir sitzen da noch nicht ganz auf dem Trockenen. Das hat sich vielleicht ausgedünnt. Und die Werte haben sich verschoben; aber wenn Sie hier über die Messe gehen, finden Sie noch immer Bücher nach unserem Geschmack, auf einem Niveau, über das man nicht klagen muss.«
Und ich, die ich viel zu viele Bücher sah, deren Cover bereits grell um Aufmerksamkeit schrieen, deren Titel mir peinlich wären und deren jeweilige Lektüre ich eher unter Konsumkost subsumieren würde, denn als ein Erlebnis, welches ich gerade deshalb genieße, weil es mir auch beim siebten Mal noch Unerwartetes bringt und dennoch immer das gleiche Werk bleibt, ich konterte: »Schon Joseph Brodsky warnte in seiner Nobelpreisrede davor, dass sich die Sprache der Literatur um jeden Preis an die Alltagssprache angleiche, und regte, mit Verweis auf Bildungskompetenz und -aufgabe der Literatur an, den umgekehrten Weg zu gehen.«
Anya Schutzbach antwortet mir ganz trocken: »Ich glaube, offen gestanden, diese Zeiten sind vorbei.« Sie verweist darauf, dass zahlreiche Autor*innen aufgrund der ökonomischen Bedingungen »sehr gut verstanden haben, dass sie sich nicht allzu weit von dem lesenden Publikum entfernen dürfen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Und nur wenige Autoren erlauben es sich, unabhängig davon zu schreiben. Vielleicht sind das die besonders bemerkenswerten Autoren. Aber es sind vielleicht nicht die, die auf der Bestsellerliste stehen.«
Auch Daniela Koch und Daniel Mursa bestätigen eine Entwicklung zu simplifizierter Sprache, Struktur und ebensolchen Inhalten. Während Daniel Mursa darauf verweist, es sei schwierig geworden, junge Literat*innen zu finden, die anspruchsvoller seien, meint Daniela Koch, sie sehe just in dieser Suche ihre Verantwortung. Schließlich gehe es doch nicht an, dass man Lesenden ein wahnsinniges Erlebnis verspreche, und sie alsdann mit einem Buch abspeise, welches langweilig, banal, platt sei. Und den Inhalt habe man vor Erscheinen bereits fünf Mal in ähnlicher Gestaltung gelesen. Natürlich würde man die als Lesende verlieren, was untragbar sei, denn »es ist ja nicht reine Selbstverwirklichung, dass ich Bücher mache, die ich gut finde.«
Oder dass ich ebensolche schreibe … Wir Geschwister in der Mischpoche wissen darum, dass wir nur jene Werke aus unserem Innersten formen können, die wir selber gerne lesen möchten, die uns in all den Erzählungen der Welt noch fehlen. Untrennbar sind zudem ›Sprache‹ und ›Leben‹ für mich verbunden. Ohne die Möglichkeit, mit gestalteter Sprache dieser Welt und ihren auf mich einstürmenden Wahrnehmungen zu begegnen, bin ich ein Fisch auf dem Trockenen, schnappe nach Luft. Ich will gar nicht bemerkenswert sein, sondern schlicht und ergreifend tun, was in mir ist. Ohne dass ich mich dafür unter Magenkämpfen und Hitzewallungen zur ›und dann‹+3-Wort-Struktur oder Ähnlichem zwingen muss. Nichts gegen Betriebsanleitungen und Beipackzettel, sogar die beschreibende Sprache der Synopsis soll ihren Raum haben, bloß ist dieser nicht der Roman, die Novelle, die Erzählung. Schließlich behauptet auch niemand im Ton der Hobelmaschine Chopin zu hören, oder? Will ich ihr davon erzählen oder lieber schweigen? Acht geben sollte ich, nicht meinen Gedanken nachhängen, denn Anya Schutzbach spricht weiter, folgt den ihren:
»Wir müssen den Geist lebendig halten«, sagt sie. »Darin müssen wir Überzeugungstäter bleiben. Und nicht nur darauf achten, wie wir unsere Rente finanzieren, wie wir leben, uns Urlaube leisten können. Ich glaube, wir müssen all unsere Lebensenergie hineinstecken: ins Bücher machen, ins Bücher lesen, in das Reden über Bücher.« Oder schlicht und ergreifend: »Die Bücher lieben. Das hat viel mit Leidenschaft, Begeisterung und Liebe zu tun. Und ist letztlich das, was das Leben schön macht.«
»Ja«, antworte ich.