Das Mädchen Adara wurde in einem Winter geboren, der kälter als alle anderen zuvor war. Diese Kälte kostete ihre Mutter das Leben, und der Vater trägt Adara den Tod der Partnerin nach; wiewohl er es nicht möchte. Im Sommer vermag er sein drittes und jüngstes Kind nicht zu umarmen, und tut er es im Winter, weint er dabei. Daher sollte es keinen wundern, dass Adara ernster und verschlossener ist, als alle anderen Dorfbewohner*innen. Zwar klagt sie nie, jammert und weint nicht, lacht aber auch niemals. Ihre liebste Jahreszeit ist der Winter. Dann baut sie allein und für sich Landschaften und Burgen aus Schnee und Eis, fern aller anderen Menschen. Nur die Wintervögel und die zerbrechlichen Eisechsen, mit denen sie behutsam umgeht, sind bevölkernde Zeugen ihrer künstlerischen Schneewelten. Ihre ›wahre Liebe‹ aber gehört dem Eisdrachen, den alle anderen Menschen ablehnen, da er ihnen als Vorbote bitterster Witterung gilt. Durch große Feuer hoffen sie, seine Ankunft hinauszuzögern. Und obgleich sie an riesige grüne Kriegsdrachen gewöhnt sind, samt Feuer und Schwefelgestank, auf denen die Armee des Königs reitet, fürchten sie den stillen Eisdrachen, weil von ihm erzählt wird, alles, was sein Atem berühre, gefriere zu Eis: »Er hauchte den Tod in die Welt und die Stille und die Kälte«, heißt es über ihn. Adara aber, deren kleine Kinderhände stets auffallend kühl sind, weiß es besser. Sie kann ihn nicht bloß berühren, schließt Freundschaft gar mit ihm, reitet auf ihm aus … Fürderhin wird sie jedes Jahr sehnsüchtig auf das Kommen des Eisdrachens warten, und er wird von Jahr zu Jahr um ihrer Nähe willen länger bleiben – zur Verwunderung und zum Ärgernis der Dorfbewohner.
Fern des Dorfes lebt der König. Von ihm wird erzählt, er tue, was seine Spezis eben so tue: Krieg führen nämlich. Sommer für Sommer. Denn im Winter, wenn der Eisdrache über das Land zieht, hat pausiert zu werden, der für Kampfdrachen ungünstigen Witterung wegen. Die fliegen alsdann lieber in den Süden; zur Erholung …
Eines Sommers nun – Adara ist im Winter zuvor gerade sieben geworden – unterliegt die Armee des Königs, in der auch Adaras Onkel als Drachenreiter dient, dem Feind. Alle überlebenden Kämpfer samt ihren Drachen haben zu fliehen. Es ist eine nicht enden wollende Prozession Verletzter, die durch das Dorf flieht; einer stützt den anderen, sieht für ihn oder ersetzt ihm das nicht mehr existente Bein, während sie gemeinsam fort wanken. George R. R. Martin beschönigt nichts, ergeht sich aber darüberhinaus auch in keinen Details, die Phantasie der Lesenden malt sich den Trauerzug, dessen Beteiligte nur noch den Aufruf zur Flucht an alle zustande bringen, ohnedies aus. Auch Adaras Onkel redet auf den Vater ein: Fliehen solle er samt den Kindern! Das sei zu viel verlangt, antwortet der Vater. Niemals werde er das Grab seiner Frau, das Land und Haus seiner Ahnen verlassen. So entscheiden die beiden Männer, das Adara, die Kleinste, mit dem Onkel in den Süden fliehen soll. Diesem Unterfangen entzieht sie sich, indem sie in den Wald läuft, sich dort versteckt. Fort von ihrem geliebten Eisdrachen solle sie? Niemals würde er sie im Süden finden! So erlebt sie allein, verborgen in einer Eiche, Ankunft und Wüten der fremden Armee. In ihrer Hilflosigkeit sehnt sie sich nach dem einzigen Freund, dem Eisdrachen, und wiewohl dies nicht seine Jahreszeit ist, kommt er, will sie fortbringen, weit fort, in seine Gefilde. Doch auf halbem Weg ändert Adara ihren Sinn: Sie kann nicht tatenlos zusehen, wie Vater und Geschwister, die Dorfleute leiden. Der Eisdrache ahnt offenbar das Kommende und ist dennoch bereit: Mit seinem eisigen Atem lehrt er den Feuerdrachen samt ihren Drachenreitern das Fürchten, bringt ihnen final den Tod. Doch auch er selbst schmilzt während des Kampfes vor sich hin …
Zeitlebens wird Adara darüber schweigen, wie sie Vater und Geschwister befreite. Und alle Dorfbewohner werden sich über den Tümpel mit eisig kaltem Wasser wundern, der von einen Tag auf den anderen plötzlich in der Nähe von Adaras Elternhaus existiert. Aus Adara aber ist der Winter verschwunden. In Zukunft wird sie lachen; und weinen – wie alle anderen auch.
Auf märchenhafter Ebene bietet diese höchst einfühlsame Erzählung eine Auseinandersetzung mit kindlichen Lebenswirklichkeiten wie Einsamkeit und Fremdheit in einem umgebenden sozialen Gefüge, erzählt von Freundschaft unter Außenseitertum und ermutigt dennoch dazu, sich in die Gemeinschaft der anderen als Individuum einzubringen. Die rurale Welt eines Dorfes, dessen Alltag noch durch Jahreszeiten strukturiert wird, die umgebende Struktur aus fernem König, Drachenreiter, Eisechsen und Drachen, rückt das Geschehen in eine Distanz und ermöglicht so die heilsame Auseinandersetzung mit einer schwierigen Thematik.