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Bulgakows »Meister und Margarita« – Grandioses Sprachkunstwerk in famoser Übersetzung von Alexander Nitzberg 

»Meister und Margarita« von Michail Bulgakow in der Übersetzung von Alexander Nitzberg bringt einen in die sonderbare Lage, dass sich ein Blog-Beitrag zu jenem Werk im Grunde genommen beinahe erübrigt, da in Nitzbergs klugem Nachwort mehr oder weniger alles Wesentliche steht, und man es folglich bloß von Beginn bis Ende zitieren könnte. Diese Abschreibübung zu Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, Textanalyse und Figurenbetrachtung können wir uns aber mit dem Hinweis sparen, lesen Sie dieses Meisterwerk der russischsprachigen Literatur! Lesen Sie es unbedingt! Genießen Sie durch die kongeniale Übersetzung die groteske Komik des Bulgakowschen Werks, die Alexander Nitzberg auch in der deutschen Übersetzung gekonnt zum Funkeln bringt, und erfreuen Sie sich obendrein an seinem Nachwort!

Ich wurde auf den Roman zum ersten Mal aufmerksam, als er 1995/96 wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln über die Budel der Buchhandlung wanderte, in der ich zu jener Zeit tätig war, um in der Phase nach meiner Rückkehr aus Frankreich, meinem Studienabschluss und ersten Publikationen, auch dem Gericht zu beweisen, dass ich absolut in der Lage bin, meine Kinder eigenständig zu erhalten – trotz des aus heutiger Sicht durchaus bizarren Kommentars der Gutachterin, welcher meiner intendierten Berufslaufbahn trotz aller Anfänge implizit Wahnwitz unterstellte. Doch genug von diesen Vergangenheiten. Das zweite Mal stieß ich Jahrzehnte später auf das Meisterwerk des Ukrainers, als ich im Rahmen eines Werkdialogs in Kiew mit der Frage konfrontiert wurde, wie mir ›ihr‹ »Meister und Margarita« denn gefalle: Ich entschied mich für die sinnvolle Antwort, dass eine Re-Lektüre dringend not tue. Und ich habe sie genossen! Ebenso sehr wie die erste.

Michail Afanassjewitsch Bulgakow wurde 1891 in Kiew als Sohn eines Dozenten für Theologie und dessen Frau Warwara geboren. Nach seiner Matura studierte Michail Bulgakow Medizin, praktizierte in jenem Beruf, bis er 1919 als Arzt in die Armee einberufen wurde. Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften folgten ab 1921, ein erster Ideenkeim zu »Meister und Margarita« entstand bereits 1928, wiewohl Bulgakow bis zu seinem Tod zwölf Jahre später an jenem Roman weiterarbeiten sollte und dieses Werk nie zur finalen Fassung bringen würde. Ab dem Jahr 1930 wurden keine der literarischen und journalistischen Arbeiten Bulgakows mehr veröffentlicht, ihm jedoch auch die Emigration verwehrt. Als er sich an die politische Führung der UdSSR wandte, um diese Verhältnisse sowie deren Auswirkungen auf seine finanzielle Lage zu thematisieren, erhielt er eine Anstellung im Zentraltheater der werktätigen Jugend TRAM, danach im MXAT als Regie-Assistent und ab 1936 im Bolschoi-Theater als Librettist und Übersetzer. 1939, Bulgakow arbeitete an einem Stück über Stalin, welches erneut verboten wurde, erkrankte er aufgrund seines Bluthochdrucks an Nephrosklerose, eine Nierenkrankheit, die zur Niereninsuffizienz führen kann. Da es ihm rapide schlechter ging, vermochte er die nächste Bearbeitungsvariante seines Lebenswerks »Meister und Margarita« nur mehr Jelena Sergejewna, seiner dritten Ehefrau, zu diktieren, bevor er am 10. März 1940 verstarb. Sie wurde auch seine spätere Nachlassverwalterin und sollte – vor ihrem Tod 1970 – noch die Publikation von »Meister und Margarita« erleben.

Um Gesellschaftskritik an dem damals jungen Staat zu üben, nutzte Bulgakow oftmals das Absurde und das Groteske; nicht bloß in »Meister und Margarita«, ein Roman, der mittels des Faustmotivs Verhältnisse in der politischen und in der literarischen Landschaft thematisiert, in deren Vordergrund Wahrheitssuche und die Zuschreibung des Wahnsinns bei Benennung der Realität stehen. Posthum erschien »Meister und Margarita« 1966/67 in einer Phase des politischen Tauwetters im Almanach »Moskwa«, dessen Auflage von 150.000 Exemplaren in dieser Zeit binnen weniger Stunden ausverkauft war. Dass die abgedruckte Textfassung bis zur Unkenntlichkeit zensiert worden war – rund ein Achtel des Romans fehlte –, störte die begeistert Lesenden nicht. Sie organisierten sich vielmehr die fehlenden Abschnitte unter der Hand, tippten oder schrieben sie ab, wodurch andere diese im Samisdat produzierten Passagen erstehen konnten. (Samisdat ist das russische Wort für Selbstverlag, sie stellte für nicht systemkonforme – sogenannte ›graue‹ – Literatur die einzige Möglichkeit dar, ihre Öffentlichkeit zu erreichen.) Bulgakows »Meister und Margarita« »[…] war nicht nur politisch brisant. Für viele dissident eingestellte Leser jener Zeit dienten gerade die Pilatus-Kapitel als Einstieg ins Christentum. In diesem Sinne wurde der Bulgakow-Roman schnell selbst zu einer Offenbarungsschrift stilisiert, deren Maximen das persönliche Denken und Handeln prägten. Hinzu kam die beinahe selbstverständliche Identifizierung Bulgakows mit dem Meister, während man in der Publikation den schlagenden Beweis für Wolands Worte erblickte: ›Manuskripte brennen nicht.‹« (Nitzberg, S. 563) Diese Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte mit ihrer Konsequenz einer »kollektiven Über-Interpretation« (Nitzberg, S. 564) kommt jüngeren Leser*innen wohl kaum mehr in die Quere. Möglicherweise wird ihnen zwar »Meister und Margarita« nicht mehr ›die Bibel ihres Heils‹, doch bin ich mir sicher, dass die Lektüre dieses Werks – auch beinahe einhundert Jahre nach der ersten Idee zu jenem Roman – ob seines Potentials, das Elend manch offenbar zeitloser Verhältnisse – durch groteske Komik überhöht – prägnant und unterhaltsam darzustellen, selbst für heutige Leser*innen immer noch ein (denk-)anregender Genuss ist! Mal ganz abgesehen davon, dass es ein grandioses episches Kunstwerk ist, ein »Großstadtpoem im Geist der Moderne« (Nitzberg, S. 566). Unter russischen Liebhaber*innen dieses Romans geht übrigens die Fama um, der Stoff sei verflucht, niemand könne ihn unbeschadet im Theater inszenieren oder als Filmstoff bearbeiten. Wer es dennoch wage, riskiere das Unglück, wenn nicht sogar Todesfälle … 

 

Quellen:

Bulgakow, Michail: Meister und Margarita. München: dtv 2018.

Nitzberg, Alexander: Ein Buch mit sieben Buckeln. Notizen des Übersetzers. In: Meister und Margarita. S. 563–582.