Was sich zu entdecken lohnt: Seume, Göschen, Grimma! – Und eine Dankesrede.

Ich hatte das Vergnügen und die Ehre den 10. Seume-Literaturpreis zugesprochen zu bekommen – als erste Österreicherin obendrein, und so machte ich mich auf den Weg nach Grimma, eine Kleinstadt zwischen Leipzig und Dresden. Nicht zu Fuß – wie der Autor, der dem Preis seinen Namen gab,  sondern aus Zeitgründen mit der Bahn. Es blieb dennoch eine halbe Weltreise – Start im niederösterreichischen Kleinbaumgarten um 7:30 morgens, Ankunft in Grimma gegen sechs Uhr abends, und ja, allen Skeptiker*innen zum Trotz, der Aufwand war jede Minute in Grimma wert! Ich möchte die vielfältigen Eindrücke und Erkenntnisse dieser entzückenden Kleinstadt, die Begegnungen mit den liebenswürdigen Menschen, die sich im Seume-Verein gegen das Vergessen-Werden jenes Autors und für die zeitgenössische Literatur engagieren, keineswegs missen. Wiewohl ich bei jedem verspäteten Zug zitterte, ob der nächste noch warten würde, und das Liegewagen-Abteil bei der Rückreise – einmal geschlossen – nur mehr mit brachialer Gewalt öffnen ließ. Ich darin eingeschlossen, lautstark an die Tür hämmernd und nach dem ungarischen Schaffner rufend, ein wahrer Bär, der kurzerhand am Riegel riss – all diese Aufregung verblasst in der Erinnerung im Vergleich zu den schönen Stunden in Grimma im Muldental.

Johann Gottfried Seume wurde am 29.01.1763 in Poserna geboren, war Weltreisender, Weitwanderer und kritischer Autor, der die Verhältnisse seiner Zeit nicht beschwieg, sondern Missstände als solches benannte. Ein ereignisreiches Leben, welches ihn um den Globus führte; und ein unruhiger Geist mit noch unruhigeren Füßen: »Es ist mein Schicksal, die Welt kreuz und quer zu durchwandern. Ich werde erst dann zur Ruhe kommen, wenn ich meine Füße nicht mehr bewegen kann.« 

Auf die erste – erzwungene – Reise in die neue Welt, aufgegriffen und verschachert als menschliche Kampfware, folgten ruhigere Jahre in Grimma, wo er von 1797 bis 1801 als Korrektor für den Verleger Georg Joachim Göschen in Grimma tätig war.  Göschen – rund zehn Jahre älter als Seume – war gelernter Buchhändler. Er stammte ursprünglich aus Bremen, war in Leipzig als Geselle tätig gewesen, wurde 1783 Geschäftsführer der »Verlagskasse für Gelehrte und Künstler« in Dessau, bevor er zwei Jahre später seine eigene Verlagsbuchhandlung in Leipzig gründete. Befreundet mit Schiller, dessen »Don Carlos« und »Geschichte des Dreißigjährigen Krieges« bei ihm erschienen;  Göschen publizierte auch die erste Gesamtausgabe von Goethes Schriften in acht Bänden,  gründete zusätzlich noch eine eigene Druckerei, veröffentlichte die Werke Wielands (42 Bände) und Klopstocks (12 Bände) … Ein Verlag der Aufklärung und des Humanismus, so könnte man es subsumieren. 

Und hätte das Wichtigste noch nicht gesagt, denn Göschen schrieb Verlagsgeschichte: Er verbesserte Pressen und  nutzte Papierglättmaschinen, verwendete von Prillwitz gegossene lateinische Lettern – und wandte als erster der Frakturschrift den Rücken zu, um ein wunderbar leserliches Schriftbild in Antiqua zu kreieren: eine relative breite Schrift mit ausreichend Leerraum zwischen den Zeilen sowie an den Rändern auf ausgezeichnetem Papier (unteres Buch). Wissend um das schmächtige Portemonnaie Lektüreinteressierter, ließ er zudem neben diesen Prachtausgaben auch wohlfeile Volksausgaben drucken – auf billigerem Papier (oberes Buch) und in Antiqua.

Neben mangelnder Qualität mancher Druckereien war zu jener Zeit vor allem der Raubdruck ein wirklich existenzielles Problem für alle Verleger (Ich fürchte, es waren ausschließlich Männer.) und Autor*innen, denn das Copyright erstreckte sich damals nur auf das begrenzte Territorium, in dem das Verlagshaus residierte. Doch Göschen hatte auch dazu eine brillante Idee: Er schloss bei der Buchmesse in Leipzig kurzerhand einen Deal mit einem Wiener Verlag. Gegen Geldfluss wurde deren Name alsdann ins Buch gesetzt, womit das Copyright auch im Habsburgerreich gesichert war und dem Raubdruck – wenigstens theoretisch – ein Riegel vorgeschoben wurde.

Wie bereits erwähnt finanzierte Seume von 1797 an seinen Lebensunterhalt als Korrektor für Göschen. Wir würdenSeumes Tun heute wohl eher Lektorat nennen, und dies obendrein unter erschwerten Bedingungen, denn es gab keine verbindlichen Regeln der Orthographie, weshalb die Arbeit des Korrektors vor allem durch die Maxime der Einheitlichkeit im Werk bestimmt wurde. Wieland zum Beispiel zog es vor, die ›Philosophie‹ als ›Filosofie‹ zu schreiben … aber nicht immer von der ersten bis zur letzten Seite. Dafür war dann Seume zuständig – und stöhnte nicht schlecht, über diese Lohnarbeit, die seine eigene Schreibzeit schmerzlich beschnitt.

Dass er seine Arbeit als Korrektor im Stehen verrichtete, mag uns Schreibtischgewohnte erstaunen. Vielleicht zog Seume es vor, weil es zumindest das Zappeln ermöglichte? Ein Schreibpult wie das Seine steht heute zur Erinnerung  im Seume-Zimmer im Göschenhaus, dem Wohnhaus des Verlegers auf einem der Hügel um Grimma, die man fußwandernd gut erreichen kann. Die in der Schreibunterlage geborgenen Routenminiaturen zu Seumes Reisen erinnern an seine Wanderungen …

 

Hier das Detail seiner Fußreise nach Syrakus – die berühmteste seiner drei Reisen –, und ich male mir aus, wie er von Prag kommend sicherlich durch das heutige Weinviertel marschierte, vielleicht sogar über Kleinbaumgartens sanft-hügelige Landschaft … Sollte er nicht das rauere Waldviertel vorgezogen haben.

Ob die Wandgemälde im Verlagshaus Göschen im Ortszentrum von Grimma zu Seumes Zeiten schon oder noch den Eingangsbereich zierten, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Tatsache ist, sie wurden erst 2002 wiederentdeckt, als ein Hochwasser die Stadt flutete, das Wasser teilweise bis über den ersten Stock hoch stand, und man sie bei den Sanierungsarbeiten danach entdeckte. Die unteren Bereiche dieser Wandgemälde wurden durch das Wasser zerstört, die oberen Hälften zeigen einen Jäger und einen Reiter.

 

Kein Wunder, dass Grimma nach Schock und Wiederaufbau, zeitgemäße Gegenmaßnahmen setzte, um der Mulde einerseits Raum zu ihrem Ansteigen zu geben, man also Fluss sowie Umgebung renaturierte, und andererseits zusätzlich die Stadt durch eine Mauer sowie durch schwere Tore umgab, um in Zukunft die Behausungen vor dem wilden Treiben des Wassers zu schützen.  Allüberall finden sich an Hausfassaden Hinweise auf jenes ›Jahrhunderthochwasser‹, welches sich im 21. Jahrhundert übrigens bereits zwei Mal ereignete. Ebenso wird sein Vorgänger gegen Ende des 18. Jahrhunderts gerne markiert. Hier die Hochwasserstände am Hauseck der alten Mühle, welche derzeit umfassend restauriert wird.

 

… die Gartenhäuschen mit Flussausblick, die direkt auf der alten – und nun neu verstärkten – Schutzmauer aufsitzen, konnten erhalten bleiben …

Wer die Fassade des Rathauses betrachtet, das Verhältnis zwischen Dachgröße und Haus-Korpus studiert, wird bald bemerken, dass hier etwas nicht so ganz mit rechten Dingen zugehen kann. Des Proportionen-Rätsels Lösung ist hurtig gelüftet, wenn man bedenkt, dass das Muldental unsicherer Untergrund ist: So wurde das ehemalige Erdgeschoß über die Jahrhunderte zum Keller.

 

 

Stadtgeschichte – nämlich Grimma als Garnisonsort der Husaren – zeigt sich auch bei alten Ladenaufschriften …

 

 

 

 

 

… und hier zwei Seiten eines jüngeren Kapitels der Stadtgeschichte …

Gewidmet den Helden im Kampf gegen den Faschismus: Dass Deutschland lebe in Einheit und Frieden.

Spannend fand ich auch diese Inschrift an einer Schule: »Immer bereit zum Lernen – für Frieden und Völkerverständigung«. – Schön wäre es, wenn nach beinahe einem Jahrhundert diese Worte nicht mehr Slogan, sondern endlich Programm würden. Ich könnte es mir durchaus als europäischen Wahlspruch vorstellen – warum nicht?!

Grimma war über ein Jahrhundert auch Ausbildungsort für Lehrende. Als dieses östlich des St. Augustin Gymnasiums (der riesige Baus rechts im Bild, neben der aufgelassenen Kirche), zu eng wurde, verlegte man die Pädagogische Akademie – so würden wir in Österreich dazu sagen – nach andernorts. 

 

Im Seume-Gymnasium fand übrigens auch die Preisverleihung statt, und ja, ich, als Ortsunkundige war sehr froh als ich diesen roten Schriftzug auf weißem Grund entdeckte:

Denn neugierig wie ich nun einmal bin, war ich den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen, vormittags mit Lutz Simmler, Obmann des Seume-Vereins, der mir liebenswürdigerweise die Stadtgeschichte erzählte – ich hoffe, ich habe alles korrekt im Gedächtnis behalten und wiedergegeben? Und nein, er hatte sich nicht nach Details zu erkundigen, sondern andere Vereinsmitglieder wollten noch hurtig die allerletzten Details der nachmittäglichen Vereinssitzung klären … Aufgrund dieser Vorstandssitzung zog ich am Nachmittag allein weiter. Schließlich kann ich es mir doch nicht entgehen lassen, einmal in Grimma zu sein und nicht Göschens Wohnhaus zu besuchen, dort eine Führung zu genießen (Zu jeder vollen Stunde! Es lohnt sich für jeden Literaturliebhaber, glaubt mir!) und die Seume Erstausgabe zu betrachten, oder?

 

… über Probedruckmaschine zu staunen und zu erfahren, dass man für einen durchschnittlich einen halben kleinen Finger breiten Buchblock Ende des 18. Jahrhunderts gerade einmal zwei Wochen für den Druck von eintausend Exemplaren benötigte – und wissen Sie weshalb man just Eintausend verfertigte?  Weil danach die Kupferplatte verbraucht war! Den Druck früher zu stoppen, wäre unwirtschaftlich gewesen; ein zweites Tausend zu beginnen wurde hingegen oft als riskant eingestuft.

 

 

Im Göschenhaus ist außerdem diese Seltenheit zu bewundern: Hinter Glas die Prägemesser, die man einst zum Verfertigen der kunstvollen Ornamente der Ledereinbände nutzte.

Es gab viel zu viel zu entdecken, sodass ich – für meine Verhältnisse und angehende-Literat*innen-Predigten (… mindestens eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn am Ort …!) beinahe zu ›spät‹ gekommen wäre, vor allem, weil ich mitten im Gassengewirr und aufgrund beginnender Dämmerung Nord mit Süd verwechselte: Freundlicherweise wusste eine ältere Dame mit Hund Bescheid, kannte den Prophtenweg und wies mir die Richtung …

Rede zum Johann-Gottfried-Seume-Preis

»Wer geht, sieht […] mehr […]«, schrieb Johann Gottfried Seume zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die beharrliche Regelmäßigkeit der Bewegung nährt die Reflexion über die Umgebung, die Langsamkeit des Ausschreitens erklärt bereits den Weg zum Ziel und ermöglicht fortwährend sich wiederholendes Innehalten um wahrzunehmen.

Ich gestehe, mir war Kollege Johann Gottfried Seume bis Juli 2018 unbekannt. Ohne den von Ihnen ausgeschriebenen Literaturpreis hätte ich auch wohl kaum nachgeforscht, welch interessanter Literat sich hinter jenen fünf Buchstaben eines Nachnamens verbirgt. Dafür möchte ich dem Internationalen Seume-Verein explizit danken.

Selten ist es, dass man sich uneingeschränkt über die Zuerkennung eines Literaturpreises freut, ihn als eine rühmliche Auszeichnung empfindet. Oft berührt es den kritischen Geist eher unangenehm, würde der eigene Name Seite an Seite mit anderen Termini erwähnt, und im Stillen wünscht man sich alsdann eine Kunstszene, die ein unabhängiges Leben von solch modernen Formen des Mäzenatentums ermöglichen könnte; zu sehr haftet der Wirtschaft das Wissen um Ausbeutung an, Bund und Land eine diskussionswürdige Ethik, geprägt von nationaler Engstirnigkeit sowie Korruption und den Kirchen eine mangelnde Auseinandersetzung mit eigener Geschichte und Schuld. Wahrhaftig eine Ehre ist es hingegen, den 10. Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis verliehen zu bekommen, da dieser Literat in aller Deutlichkeit aussprach, was er als Wahrheit begriff, für seine Überzeugungen eintrat, soziale Missstände beim Namen nannte, auch Kritik in Kauf nahm und hinter Fassaden blickte: »Die geheime Geschichte der sogenannten Großen ist leider meistens ein Gewebe von Niedertracht und Schandtaten«, schrieb Seume einst; und lässt man heute den Blick über die Reihen Großgeplusterter in Politik, Wirtschaft, Forschung und Kultur gleiten, mag es einen wahrlich betrüben – und erzürnen! –, dass seine vor zweihundertzwanzig Jahren getätigte Aussage noch immer zutrifft.

Seume war einer, der seinem Lebenstraum konsequent folgte, den besorgten Warnungen seiner Zeitgenoss*innen vor Raub und Lebensgefahr, Mord und Totschlag im suspekten, fernen Italien lieber die eigene Beobachtungsgabe entgegensetzte, um danach über diese erlebte Realität zu schreiben. Als Korrektiv stereotyper Urteile und Nationalismen.

Deshalb ist die Freiheit der Kunst wichtig: Ihre Aufgabe ist es, die Welt, die uns umgibt, zu spiegeln. Will ein literarisches Werk eine Relevanz haben, die über eigene Be- und Empfindlichkeit hinausgeht, dient es nicht alberner Selbstdarstellungbeliebigkeit oder rasch einzuverleibendem Unterhaltungsklamauk, hat sie in der Literatur zu thematisieren, was keiner benennen mag, hat sie im Versuch der Wahrheit die Pflicht, ein Auge auf unsere Gesellschaften zu haben, selbst wenn damit kein Staat zu machen ist; von finanziellen Erfolgen mal ganz zu schweigen. Die hatten mit gehobener Literatur alleweil bedauerlich wenig gemein. Zu unbequem ist die Kunst, legt Finger in Wunden, kaut keine Antworten vor, regt ›bloß‹ zum eigenständigen Denken an, weckt auf – vielleicht den einen oder die andere, möglicherweise erst in zweihundertzwanzig Jahren, denn es ist – nach wie vor – »[e]in Glück für die Despoten, daß die eine Hälfte der Menschen nicht denkt, und die andere nicht fühlt.« Dabei macht uns unser Denken erst zum unverwechselbaren Ich, schrieb Hannah Arendt sinngemäß, und wie ich hinzufügen möchte, zum Denken gehört untrennbar das Nachsinnen. Nicht wegen der Weisheit, die wir damit hoffentlich erlangen, werden wir zum Individuum; auch nicht ob der Klugheit, mit der wir eventuell andere beeindrucken, sicherlich nicht der Schönheit einer denkenden Pose wegen, die sich im Selfie vermarkten lässt, sondern einzig um unseres Nachdenkens über unser in-der-Welt-Sein willen, das per se ein in-der-Welt-Sein mit anderen Individuen ist, deren ebensolches Recht in-der-Welt-zu-sein immer und uneingeschränkt gleich groß ist wie das unsere; das sagt einem die Vernunft, doch »[d]as Regiment der Unvernunft bricht wieder stark hervor: car tel est notre bon plaisir!« Selbst nach zweihundertundzwanzig Jahren gefallen wir uns darin, das Recht anderer in-der-Welt-zu-sein als nichtiger abzuurteilen, zu negieren gar, es mit Tricksen und Trügen um der Fülle eigener Taschen zu beschneiden. Oder uns in schlapper Bequemlichkeit auf das Sofa zu lümmeln, wärmend eingehüllt in faule Dummheit, damit wir nicht bemerken, was wir gerade an Freiheit verspielen, wie wir unsere Empathiefähigkeit im Alltagstrott begraben und dem ›Schon wieder!‹ Tür und Tor öffnen, während sich Seumes ›Despoten‹ freudig ihre Pfoten reiben über die zunehmende Verblödung, die allerorts mit viel Elan genährt wird und die aus denkbaren Individuen lenkbare Automaten werden lässt – »[w]o keine Sclaven sind, kann kein Tyrann entstehen.«.

Kein Sklave zu werden, kein lenkbarer Automat, unserem in-der-Welt-Sein mit unserem Nachdenken, unseren Worten zu begegnen, das sehe ich als eine der wesentlichsten Aufgaben der Literat*innen: »Wenn man mir vorwirft, daß dieses Buch zu politisch ist, so ist meine Antwort, daß ich glaube, jedes gute Buch müsse näher oder entfernter politisch sein. Ein Buch, das dieses nicht ist, ist sehr überflüssig oder gar schlecht«, schreibt Seume und er – wie auch ich –, wir wüssten keinen Grund es zu verfassen. »Politisch ist, was zu dem allgemeinen Wohl etwas beiträgt oder beitragen soll: quod bonum publicum promovet.« Was das Gemeinwohl fördert: Selbst wenn diese Definition des Adjektivs ›politisch‹ gerade von denjenigen, deren Beruf es als gewählte Volksvertreter*innen wäre, nur zu gerne verdrängt wird, die Kunst darf sie nicht vergessen; ebensowenig wie der Journalismus. Auch dann nicht wenn unsere Worte diese Welt, seien wir ehrlich, kaum grundlegend verändern werden. Just deshalb würde es mich grob fahrlässig dünken, den Versuch nicht einmal zu wagen, vielleicht einen einzigen Menschen mit dem Spiegel der Welt zu eigenständigem Nachdenken anzuregen. »Das Loos der Menschen scheint zu sein, nicht Wahrheit, sondern Ringen nach Wahrheit; nicht Freiheit und Gerechtigkeit und Glückseligkeit, sondern Ringen danach.« Ringen ist per se nichts Schlechtes; es nicht einmal zu versuchen hingegen schon. Über Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Glückseligkeit nachzudenken und das Gedachte wiederum in Narration zu kleiden, die anregt und nicht vorkaut, dafür wenn nötig auch mal die Wortklinge zu kreuzen, das sehe ich als Aufgabe, die mit der Annahme dieses mir verliehenen Preises verbunden ist; ebenso wie seinen Namensgeber erneut in den Blick zu rücken, seine treffenden Worte, seinen charmanten Witz und seine fein ironische Klinge: Weil wir ohne Lektüre seiner Schriften an Weisheit verlieren würden, und das können wir uns nicht leisten! Dem Internationalen Johann-Gottfried-Seume-Verein gebührt daher mein herzlichster Dank – die mit dieser Verleihung verbundene Anerkennung ist mir eine Ehre.

 

Quellen:

 

 

Seume, Johann Gottfried: Apokryphen. S. 361. Vgl.: https://books.google.at/books?id=X3ZBAAAAYAAJ&pg=PA361&lpg=PA361&dq=Ein+Glück+für+die+Despoten,+daß+die+eine+Hälfte+der+Menschen+nicht+denkt+und+die+andere+nicht+fühlt.&source=bl&ots=ftirZfpYnD&sig=ACfU3U0JuOxz3DE4TRhUVKVOdo3CmZ36fA&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiMvbXQmJ_mAhWNqIsKHYn6BmgQ6AEwBXoECAoQAQ#v=onepage&q=Ein%20Glück%20für%20die%20Despoten%2C%20daß%20die%20eine%20Hälfte%20der%20Menschen%20nicht%20denkt%20und%20die%20andere%20nicht%20fühlt.&f=false – Zuletzt eingesehen am 05.12.2019

 

Seume, Johann Gottfried: Freiheit und Recht. Kapitel 2. Vgl.: https://gutenberg.spiegel.de/buch/freiheit-und-recht-5801/2 – Zuletzt eingesehen am 05.12.2019.

 

Seume, Johann Gottfried: Obolen. Kapitel 14. https://gutenberg.spiegel.de/buch/obolen-4711/14  – Zuletzt eingesehen am 05.12.2019.