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Machado »Ihr Körper und andere Teilhaber«. Oder: Der Fick schürt nach wie vor Interesse

Keineswegs weil die etablierten Literat*innen solch faule Hunde wären oder weil sich plötzlich alle Welt dem Schreiben zuwenden würde, voll der Begeisterung für Fiktion oder Non-Fiction, literarisches Gestalten der neueste Modetrend und Breitensport wäre und mit Sicherheit nicht, weil Europa plötzlich das Marathonlesen entdeckt hat, und jede*r Europäer*in täglich ein Buch liest. Es hat schlicht und ergreifend wirtschaftliche und werbestrategische Gründe. So wundert es auch kaum, dass manche von ihnen nach einer Publikation von der Bildfläche verschwinden oder dass sich bei anderen Debütant*innen – als Vorschusslorbeer quasi – vermerkt findet, dass er oder sie in einer anderen Sprache seine Heimat habe und darin dieses Werk erschienen sei, das nun erstmals und einzigartig in Übersetzung vorliege (großer Trommelwirbel), es ursprünglich für solch fulminantes Echo sorgte, dass man gar nicht anders konnte (Trommelwirbel samt Tamburin), als es auch in eigener Sprachheimat aufzulegen (Epochaler haydnscher Paukenschlag): um Leser*innen diese neue, großartige, Welt zugänglich zu machen, die zu versäumen sie sich nicht leisten können, wollen sie up to date bleiben, mit der Zeit gehen, die Welt verstehen … Oder was auch immer an Blödheit der PR-Abteilung sonst als Slogan einfällt. 

Wer den Literaturbetrieb seit vielen Jahren beobachtet, weil er oder sie in ihm lebt, hat an dieser Stelle die Aufgabe, tief zu seufzen, da er oder sie das Gewicht, welches diesen armen Jungspunden auf die Schultern gewuchtet wird, ahnen kann. Sollten sie nicht standhalten, stehen ohnedies unzählige weitere in der Schlange, murmelt die PR-Abteilung, sei also kein Schaden – außer für diesen einen einzigartigen Menschen, doch wen interessieren heutzutage noch Individuen?

Mich. Und Sie. Sonst würden Sie wohl kaum diese Zeilen lesen.

Carmen Maria Machado ist eine von diesen Greenhorns, ihr Debüt »Ihr Körper und andere Teilhaber«, ein Band mit acht Erzählungen, wurde für den National Book Award und 28 weitere Preise nominiert – also gelistet – und konnte zehn davon einheimsen. Das ist viel. Sehr viel. Und dies Wissen erhöht die Erwartungen zum Druck, mit denen man die Lektüre beginnt: Was ist dran, an den Erzählungen, in auffallend unterschiedlicher Länge, von Kurzgeschichte bis wahrhaftiger Erzählung, dass sie für solches Furore sorgten? Sex – lautet die erste Antwort. Schlicht und ergreifend, der gute alte Fick, der sich verkauft. Da wird gevögelt, gebumst, gewichst, Sperma und Feuchtigkeit ausgeschieden, Schwänze begegnen Münder und Finger Mösen. Männer begehren Frauen, die Frauen begehren, die Männer begehren und manche auch bloß die Macht. Inmitten dieser Oberfläche verbirgt sich jedoch eine zweite Antwort: die Zeit. Zeitsprünge, achronisch, anachronisch, nie jedoch als in der Auktoriale verhaftete proleptische Analepse (Das würde nämlich so klingen: Maria wird, wie bereits erzählt, am Morgen nach der Vögelei aufwachen und feststellen, dass … Und bla bla bla … ).

Vorzugsweise springt bei Carmen Maria Machado der Erzählfaden von der Ausgangszeit – der erzählerischen Gegenwart also – anderswohin in Vergangenheiten, um nie mehr an seinen Ursprungsort zurückzukehren. Häufig wird dies von Machado außerdem mit Realitätswechsel verknüpft, welche die Kraft eines Plots von Grund auf erneuern können, indem die Narration ins Surreale, Irreale kippt oder Spielarten des Magischen oder Phantastischen Realismus bemüht werden. Und dies zudem höchst gelungen! Das sei an dieser Stelle ausdrücklich angemerkt. 

Die Sprache ist auffallend einfach gehalten, und wäre da nicht die Vorliebe für Nabokovs Details und Henry James Showing in der Variante der Darstellung von Emotionen mittels physischer Veränderungen, die Aufmerksamkeit generieren, gäbe es keine Besonderheit am Duktus anzumerken. Aus beiden klassischen Lehrinhalten jedes Schrei[b]studiengangs zaubert Carmen Maria Machado eine eigenständige Bildwelt, die sie teilweise mit vorangestellten klaren Aussagen ergänzt, sodass auch sicher ein jeder die Metapher versteht. Oder um es an einem Beispiel zu illustrieren: »[…] und ich spüre ein seltsames Schaudern, das tief in meinem Innern beginnt. Eine Wirbelsäule darf sich nicht so sehr fürchten.« (273) Eine Technik, die sie jedoch nur höchst wohldosiert und sparsam einsetzt, ein oder zwei Mal je Erzählung.

Verdient dieser Band nun also die Aufmerksamkeit, die er erfuhr? Absolut. Es sind mehrheitlich gelungene Kurzgeschichten und Erzählungen, die einem eine durchaus reizvolle Lektüre bescheren. Die Weltrevolution in der Narration bedeuten sie hingegen mitnichten, denn alles hier versuchte, wurde bereits von anderen gewagt und unternommen.

Worauf es also hinausläuft: Man tut Debütant*innen nichts Gutes, lobt man in der PR-Abteilung des Verlags über den grünen Klee, verspricht, das Werk hole Sterne vom Himmel und sei das Gelbe vom Ei, statt schlicht zu sagen: Das sind absolut lesenswerte Erzählungen, Sie sollten der Erzählstimme dieser jungen Literatin namens Carmen Maria Machado lauschen. Selbst in heutigen Zeiten, in denen wir so gerne die Superlative bemühen, denn ins Unendliche hochgeschaukelte Erwartungen, werden immer nur eines evozieren: die Enttäuschung, dass auch hier schlicht mit Wasser gekocht wurde. Das aber hat Machado sich nicht verdient!