»Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.« Ingeborg Bachmann
Ausgehend von dem Gedanken, dass solidarisches Handeln in gegenwärtiger Ohnmacht das Relevante ist, entschieden sich die Literatin und Literaturwissenschafterin Marlen Schachinger sowie Robert Gampus, Initiator der BUCHSUCHT, ein Projekt mit dem Titel »Arbeit statt Almosen« zu starten und luden dazu neunzehn weitere Literatinnen ein. Sie wollen mit dem gemeinsamen Buchprojekt »Fragmente: Die Zeit danach« ein Zeichen setzen und die gegenwärtige Situation samt Auftrittsverbot, nicht nur dazu zu nutzen, ihrer eigentlichen Arbeit, dem Schreiben, nachzugehen, sondern auch um einen kulturpolitischen Diskurs über Lebens- und Arbeitsverhältnisse im literarischen Feld anzuregen.
Von 7-10% und dem gewohnten Null der Anthologie
Den meisten Leser*innen ist nicht bekannt, dass der Literat*innen essentieller Beitrag an einem Werk üblicherweise mit 7-10% Tantiemen abgegolten wird. Deshalb stellen Buchverkäufe mehrheitlich nicht das Einkommen; die Existenzsicherung der Autor*innen ist stets eine Frage kreativer Umtriebigkeit gewesen, die an die Saga des Eichhörnchens erinnert; und der Anzahl an Lesungen. Im Zuge der Covid-19 Maßnahmen, da kulturelle Veranstaltungen gestrichen wurden, verstärkt sich für viele Literat*innen die prekäre Situation zur existenziellen Bedrängnis. Eine allgemeine Diskussion über Fair Pay, die wir seit Jahrzehnten schon hätten führen sollen, tut mehr denn je not, denn Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, wie Karl Valentin treffend bemerkte. Diese Arbeitsleistung entzieht sich per se und unter heutigen Bedingungen jedwedem Nebenher. Aus ihm kann nichts Bemerkenswertes wachsen.*
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*»Schon stecken wir mitten im Minenfeld: Ist Kunst Arbeit? Ist es ein Beruf, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, in dem sie sich erkennen kann? Ist es Arbeit, über die Welt nachzusinnen? Nach Ansicht mancher Verleger keineswegs. Ihre Argumentation erlangt die Zustimmung eines jeden, der ›Arbeit‹ im Kontext unseres Wirtschaftssystems mit Steigerung, Gewinn, Profit assoziiert, was seit jeher dazu berechtigte, einzig die eigenen finanziellen Ressourcen im Blick zu haben, nicht aber die Gesellschaft oder die Etymologie des Wortes und den gemeinsamen Stamm mit der heutigen ›Berufung‹. Wer an Profit denkt, wird in seinem ganzen Leben kaum ein Haiku verfassen, weil sich währenddessen, beim Blick auf Arbeitszeit und Honorarsätze, bereits die Frage nach dem ›Wozu?‹ stellt. Berufung aber ist, was Literat*innen antreibt. Rilkes ›Muss‹ ist unser Tag; und es wird zur Munition in den Händen derjenigen, die ›Arbeit‹ verneinen, damit sie auch weiterhin bei 7-10% Tantiemen-Anteil bleiben dürfen. Am Rande sei ergänzend erwähnt, dass selbst Buchhändler*innen 40% erhalten, ihrer Unkosten wegen. Schließlich fragt man sich ja sonst, wohin rund 90% gehen. Nicht zum Verleger, zur Verlegerin, so viel ist klar.«
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»Nicht jene, die streiten sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.« Marie von Ebner Eschenbach
Aufgrund dieser Verhältnisse entschieden sich die Initiator*innen für den Übertitel »Arbeit statt Almosen«, und machten sich auf die Suche nach einem Verlag, der bereit wäre, dieses vorfinanzierte Projekt zu besseren Konditionen für Autorinnen zu publizieren. Feldforschung, so könnten man den mühsamen Diskussionsprozess durchaus nennen, will man den Sinn für Komik nicht verlieren.*
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*»Spannend, dass selbst wenn Textarbeit und Pre-PR von den Kreativen geleistet werden, die Anzahl der Vorbestellungen drei Viertel der Erstauflage umfassen und die Arbeit des Verlags für Lektorat, Satz und Druck mit einer Abnahmegarantie abgegolten werden, das sogenannte ›verlegerische Risiko‹ also nicht mehr auf Verlagsseite liegt, dass selbst dann der unserem Projekt immanente Honorar-Satz von 30% seitens mancher Verleger als Affront empfunden wurde. Ist es die alte Geschichte geweckter Begehrlichkeiten, die dabei zu tragen kommt? Früher, vor-Corona, lernte ich das Tantiemen-Argument kennen, das verlegerische Risiko müsse abgegolten werden, Autorinnen würden ja ohnedies an Lesungshonoraren verdienen. Da dies nun obsolet ist, machte ich eine neue Bekanntschaft: Das Werk sei ein ›Herzensanliegen‹ – für diejenigen, die es verfassen; keineswegs des Verlags, der könne sich jederzeit ein anderes Publikationsprojekt sichern. Eine Position, die nicht zu entkräften ist, die aber dennoch frappiert, weil sie die Machtverhältnisse im literarischen Feld so klar wie nie zuvor auf den Tisch legt: Wir, die Verleger, bestimmen, was erscheint, und es muss unser Gewinn sein. Der Inhalt ist sekundär.«
»This is not a book you can just put aside. It should be thrown away as far as possible.« Dorothy Parker
Massenware in ewig gleichen Klamotten
Wer die Neuerscheinungen der Jahre 2018-20 studierte, konnte feststellen, dass gehobene Literatur sowie Literatur verfasst von Frauen marginalisiert wurde; letzteres mit einer Ausnahme: Das Debüt durfte in weiblicher Handschrift erfolgen. Der Anteil an Unterhaltungsliteratur stieg zeitgleich eklatant; auf den Warentischen der Buchhandlungen wurde dieses Segment mit auffallender Covergestaltung dominant.*
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*»In den Interviewreihen, die ich 2019 und 2020 für ›Die Presse‹ sowie für meinen Blog ›Mitlese‹ mit Verleger*innen und Agent*innen durchführte, war man stets bemüht, Missverhältnisse der Kräfte zu kaschieren. Natürlich sollte ein Verlag ein Buch nur aus Überzeugung machen, natürlich ist er ein Wirtschaftsunternehmen, über beides braucht man kein Wort zu verlieren, sollte aber Tachles im Hinblick auf die Fastfood-Druckwerke reden, bei denen man von 300 Seiten dreißig liest, zweihundert überfliegt, siebzig nicht einmal betrachtet, weil der Inhalt vorhersehbar und Lektüre unnötig ist. Das erregt Besorgnis, und wir sollten nicht honigmaul-verschämt zu verbergen trachten, was Faktum ist: In solcher Auswahl bildet sich das primäre Kriterium verlegerischer Haltung ab: Verkäuflichkeit. Nicht Inhalt, nicht Tiefe und schon gar nicht – Gott bewahre! – Sprache! Dass sie damit More-of-the-same-Kopien Tür und Tor öffnen, liegt auf der Hand. Ebenso, dass jedwede innovative Literatur diese Tür nicht passieren wird. Dass ihnen bewusst ist, dass sie damit jedweder Erzählkunst das Grab schaufeln, nehme ich an. Und Erzählkunst meint fürwahr nicht hermetisch geschlossene Werke, die dem l’art pour l'art frönen und keinen Lesenden freiwillig über die Hürde des ersten Satzes lassen! Dass just Buchhändler*innen wie Rezensent*innen gleichfalls die Fastfood-Dominanz beklagen, die nicht in die Aufbrüche unserer Zeit passt, dünkt mir wenig überraschend. Frappierender ist, dass sich Verlage wie Agenturen just auf diese Spieler im Feld ausreden.«
»Der wahre Zweck eines Buches ist, den Geist hinterrücks zum eigenen Denken zu verleiten.« Marie von Ebner-Eschenbach
[*… und nicht zum nicht-existenten Gaudium von Zuseher*innen unter ein wackelndes Tischbein zu wandern. Oder in einen überdimensionalen Mülleimer.]
Ja, im literarischen Feld liegt vieles im Argen, und die Tantiemenfrage ist nur ein Teil davon. Das Projekt »Arbeit statt Almosen« versucht eine Veränderung zu initiieren, wenigstens im Kleinen, und einen Diskussionsprozess darüber in Gang zu setzen, denn die Branche wird sich verändern müssen, will sie überleben.*
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*»Es ist nicht nachzuvollziehen, dass gehobene Literatur marginalisiert wird, wenn die statistischen Daten dieses Segments keine Einbrüche belegen. Sie findet ihre Leser*innen wie eh und je, aber die Kanäle der Bewerbung sollten hurtig angepasst werden. Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, als Handzettel und Annonce genügten.«
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In unserer Zeit tut zusätzlicher Aufwand not, die Aufmerksamkeitsspanne ist geringer geworden, Literat*innen sind gefordert, weitaus mehr Zeit denn je zuvor für die PR aufzubringen, sich darin auch mit ihrer Persönlichkeit verstärkt einzubringen und Veranstaltungen kreativ zu inszenieren. Das aber bedeutet einen eklatanten Mehraufwand an Zeit. Und die ist Geld. Sie rechtfertigt – neben der Urheber*innenfrage – durchaus höhere Tantiemensätze. Denn solange die Arbeitszeit die Werkbewerbung zu fokussieren hat, kann nicht konzentriert geschrieben werden.*
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*»Mir geht es um die Infragestellung der Verhältnisse, weil ich der Überzeugung bin, nichts muss so sein, weil es ›immer schon so war‹. Das war noch nie eine sinnige Begründung. Fair Pay sollte in Zukunft in unserem Arbeitsbereich vom Fremdwort zur Alltäglichkeit werden; und das unumstößliche Recht, das der mächtigere Part in Verhandlungen auf eigener Seite wähnt, ausschließlich althergebrachter Machtverhältnisse wegen, wäre in einer idealen Welt sowieso diskussionswürdig. In dieser leben wir nicht, wie die Pfarrerstochter in mir bedauert. Dieser Tage fragte ich mich wiederholt, weshalb wir nie aufbegehrten. Zu eingespannt in den Arbeitskarren, liebend, was wir tun, und gerade noch genug verdienend, um zu überleben – das ist die traurige Antwort. Über verschüttete Milch zu klagen, war jedoch noch nie sinnvoll. Doch den Prozess des Verschüttens, den Hergang infrage zu stellen, sehr wohl. Literat*innen hocken gegenwärtig nicht in der Bredouille ihres fetten SUVs, der dicken Zigarren und der expandierenden Wohnverhältnisse in Villen im In- und Ausland wegen, sondern weil sie ihre Kraft im Kampf um winzige Futtertöpfe verzerrten, die sie zum Nutzen des herrschenden Systems dazu brachten, unsolidarisch zu agieren; Stichwort Einzelkämpfer*innen, schon immer eine unsinnige Mär. Mutlos ist die Branche geworden, geht stets lieber auf Nummer sicher. Und hemmt sich selbst darin. Diese Tage und Gespräche mit Kolleg*innen erinnern mich auch an erschreckende Aussagen von Verleger*innen, Agent*innen und Kolleg*innen: ›Es gibt viel zu viele Literat*innen, gesundschrumpfen tut not, sonst überleben wir nicht.‹ Ihr Wunsch wird nun in Erfüllung gehen; rascher als wohl je von ihnen gedacht. Werden sie dann glücklich sein? Wenn der Kahlschlag aller Logik nach vor allem diejenigen Kolleg*innen betreffen muss, die in österreichischen Verlagen erscheinen?«
»Meine Macht im Verlag ist unermesslich, ich trage dort den Namen 'Der Unkritisierbare'. Meine Bücher werden nur von blinden Lektoren lektoriert, denen man die Zunge herausgerissen hat, und mein nächstes Buch hat ein Lesebändchen aus gepresstem Uran.« Walter Moers
»Arbeit statt Almosen« als Versuchsanordnung ist ein geeignetes Instrument, um Verlagen fern jedweden verlegerischen Risikos, die dennoch auf ihre gewohnte Macht pochen, die Frage ›Warum?‹ zu stellen.*
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*»Gerade weil ich an das Miteinander und nicht an Ich-AGs glaube! Deshalb sah ich auch in Selfpublishing nie einen gehbaren Weg. Schon allein wegen des Beitrags exzellenter Lektor*innen: Sie legen den Finger in die Wunden des Textes und erzwingen eine weitere Bearbeitungsrunde, selbst wenn man meint, man habe keine Kraft mehr. Literatur bedarf dieser Reibung an Sichtweisen, um zu entstehen. Oder die Fachleute für Grafik und Satz! Was wären wir ohne ihr Wissen? Das letzte Hurenkind oder den albern beharrlichen Schusterjungen kann ich mit Sprachmanöver ausmerzen, aber die Seite glänzt deshalb noch keineswegs in optischer Schönheit! Nein, ich bleibe dabei, gute Literatur, schön gebunden, braucht die Teamarbeit von Leser*innen, Autor*innen, Lektor*innen, Verleger*innen und Grafiker*innen. – Und eine andere Verteilung der Tantiemen, eine Reflexion über das Wirtschaftssystem.«
»Hoffnung kostet nichts.« Colette
*Meines Erachtens macht die Buchbranche derzeit einen eklatanten Fehler. Sie setzt – wie schon in vergangen Jahren doch nun nochmals verstärkt – auf Mutlosigkeit, setzt auf Ausharren, auf Stillstand. Das aber war noch nie ein Schritt in die Zukunft. Was 2018/19 eingeübt wurde, darin versucht man nun Meisterschaft zu erlangen: Gehobene Belletristik wird noch zurückhaltender publiziert als bisher, wiewohl die Zahlen belegen, dass die Nachfrage in diesem Segment kontinuierlich gleich bleibt. Verständlich? Ist das mitnichten. Ebenso wenig der Schritt, nun primär auf e-books zu setzen. Ja! Sie haben richtig gehört. Dabei sind die Kosten hierfür nur minimal geringer, der Druck entfällt zwar, aber weder Lektorat noch Satz, nur die Branche der Druckereien wird gemieden. Und diejenige der Buchhandlungen. Obwohl allen bekannt ist, dass sich gehobene Literatur im e-book nicht verkauft. Ihr Anteil liegt bei unter 10%. Somit wird also ein weitere Schritt zur Eliminierung anspruchsvoller Literatur gesetzt, der nichts, rein gar nichts nutzen wird, außer diejenigen Leserinnen und Leser zu vergrämen, die Literatur als Kunst genießen wollen. Welche Schritte setzte die Branche dieser Tage noch? Man halte sich zurück, bei neuen Verträgen, wolle für 2021 keine abschließen – nein, das ist kein Tippfehler, und wer gleichzeitig wie die Verlagsbranche auf ein ›baldiges Ende von alldem‹ hofft, die Frankfurter Buchmesse im Mund führt, der hat noch nicht begriffen, was sich gerade eben ereignet. Vereinbarte Publikationen werden verschoben, Lesungen mit 6 Personen im Herbst angesetzt – »wenn die behördlichen Vorgaben eine sinnvolle Abwicklung einer Publikumsveranstaltung möglich machen«, was auch immer dieser O-Ton einer Veranstalterin letztlich bedeuten mag. Wann, so frage ich mich, wird diese Branche endlich aufwachen? Was muss noch geschehen, damit ihre Spieler im Feld endlich realisieren, dass mutiges, kreatives Nachdenken not tut? Dass die Zeit, in der sich österreichische Verlage trotz oder gerade wegen ihrer Kleinheit darauf kaprizieren das Spiel der Großen justament spielen zu wollen, ein für allemal passé ist? Es hat nicht funktioniert, es wird gegenwärtig noch weniger funktionieren und auch in Zukunft wird es nicht funktionieren:
- Weshalb nicht statt Frühjahr- und Herbstprogramm ein Jahresprogramm entwerfen, spart Ressourcen und Kosten, die Bücher können ja dennoch übers Jahr verteilt erscheinen.
- Wozu Druckwerke auf den Markt werfen, in denen die international agierenden Großverlage sowieso geschickter manövrieren, weil die Vorschüsse, die sie für Fastfood hinauszuwerfen belieben, niemals in Österreich gezahlt werden können. Warum nicht die Nische nutzen und das Land der exzellenten Literatur als Kunst werden? Leserinnen und Leser, die den siebten Abklatsch grauer Schattierungen oder rosaroter Inselschmonzette wollen, wissen eh, wo sie sich damit versorgen können.
- Statt auf große Messen zu setzen, auf Verlagsparties und Co: Wieso nicht die Kontakte zu denjenigen intensivieren, welche die relevante Personengruppen sind: Allen voran die Buchhändlerinnen und Buchhändler: Besucht sie, ladet sie ein, versorgt sie mit tollen Veranstaltungsideen, von mir aus auch derzeit virtuell; doch die Literatinnen und Literaten bezahlt. Diese Multiplikatorinnen und Multiplikatoren stehen für Verlage und Literatinnen wie Literaten an der Front. Sie haben trotz Sperre ausgeliefert, nutzen jede kreative Idee, um die Kontakte zu Lesenden herzustellen. Sie sind diejenigen in unserer Branche, denen die Rolle Best Friends zukommt. Wie habt ihr sie bloß derart vergessen können? Eure Vertreterinnen und Vertreter in allen Ehren, aber wer von denen fährt in die kleinen Läden? Weshalb nicht die Buchhändlerinnen und Buchhändler samt den Autorinnen und Autoren einladen, das Gespräch über die Werke forcieren? Schließlich leben und arbeiten österreichische Autorinnen und Autoren im ganzen Land verstreut, und nicht bloß in Wien. Nichts überzeugt so sehr, wie die persönliche Begeisterung. Ja, ich kenne Vertreterinnen und Vertreter, welche die Werke noch lesen, für die sie reisen – aber die Mehrheit unter ihnen ist das nicht. Ebenso wenig wie seitens der Verleger. Und Lesen ist nicht gleichbedeutend mit Überfliegen. Wahrhaftige Literatur entzieht sich solchen Manövern!
- Ihr österreichischen Verleger: Schielt nicht weiterhin ständig auf den deutschen Markt. Die verfluchte Weißwurstgrenze werdet ihr nicht aufheben können, nur weil sie euch wie mir bescheuert dünkt. Jenseits von Bayern kämpfen die Verlage, ebenso wie hierzulande, um ihr Überleben, die kleineren, engagierten, unabhängigen, aber sie haben einen Vorteil: Sie sind vor Ort. Also kümmert euch doch lieber um die wichtigste Gruppe hierzulande: Um die Leserinnen und Leser. Das geht nicht? Weil keine Lesungen stattfinden dürfen? Weil kein Geld für große Inserate, gekaufte Tische vorhanden? Bitte, jemand der gehobene Literatur liest, kauft eher kaum bei Amazon oder bei den Möbelhändlern, deren allgemeines Sortiment und marktschreierische Aufbereitung samt mangelhafter Kenntnisse der Literatur nur abschreckt oder sogar enerviert. Jede Alayse der Umsätze bestätigt das. Was also soll euer Schachzug nun bewirken?
- Vergesst euer marktschreierisches Geplärr, ihr hättet die neueste Ware, sieben Debüts, mindestens, sondern übernehmt Verantwortung, setzt auf die Beziehungen, die ihr etabliert habt, setzt auf Konstanz. Was glaubt ihr denn, wie ihr am Markt wirkt, wenn ihr immer nur entdeckt, entdeckt, entdeckt, es euch aber keinen Deut schert, ob eure ›Entdeckungen‹ auch das zweite Werk überleben? Oder die 80 Jahre? Ganz abgesehen von der Unmenschlichkeit dieser Haltung!
- Literatur wird für Leserinnen und Leser verfasst, sie gruppieren sich um eure Literatinnen und Literaten, treten mit ihnen in Kontakt. Und die Autorinnen und Autoren, die mehrere Jahrzehnte in der Branche tätig sind, wissen um sie, wissen um ihre Sorgen und ihr Leben, halten mit ihnen Kontakt, woher auch immer sie kommen mögen, wo auch immer sie leben, sei es in Italien, der Schweiz, in Österreich, Deutschland oder Frankreich. Ihr Verleger behaltet sie, wenn ihr eure erfahrenen Autorinnen und Autoren hegt und pflegt – und sie nicht abschießt, weil sie nicht mehr als Novum gelten, keine 20 sind, weil ihr euch von ihnen goldene Eier verspracht – wider alle Vernunft – und sie die euch nicht legten. Wie denn auch – hierzulande?
- Ihr Veranstalterinnen und Veranstalter: Wann werdet ihr begreifen, dass Literatur – gehobene Literatur – kein Ablaufdatum hat? Wer dies zu Ende denkt, der könnte begreifen, dass auch nicht jedes Jahr das nächste Werk auf den Markt muss! Wer dies zu Ende denkt, könnte verstehen, würde er oder sie das wollen, dass die Inflation der Literatur, das immer raschere Geschlampe ein hausgemachtes Problem ist, bei dem Literatinnen und Literaten um des schnellen Rubels willen geopfert werden. Ihr Veranstalter, vergesst endlich die Dummheit, dass ihr nur präsentieren könnt, was gerade eben neu am Markt! Ihr Verlegerinnen, Verleger, überdenkt höhere Tantiemensätze, für bessere Werke, denen alsdann mit viel gemeinsamen Einsatz eine breitere Öffentlichkeit verschafft werden kann. Ihr werdet dann nicht mehr 5, 10, 20 Werke publizieren – unmöglich, sei das, weil euch dann eure Verlagsförderung flöten ginge? – Liebe Frau Lunacek, wir haben hier ein Strukturproblem! – urgent, urgent, mehr als urgent, ASAP ZU LÖSEN! Denn der Ruf der Kunst- und Kulturnation Österreich steht auf dem Spiel. – Dafür wurde die Verlagsförderung erhöht? Auf 3 Millionen Euro statt 2,2. Was, so frage ich, sollte dies ändern – außer dass sich eben nichts ändern wird, alles bleibt beim Alten, kein Umdenken, kein Aufbrechen wird stattfinden, und weil es zuvor schon ein Elend war, wird es ein Elend bleiben. Aber es ist schön, dass der Hauptverband des Österreichischen Buchhandels noch von einem »Durchstarten im Herbst« spricht, das somit gesichert sei. Es fragt sich nur ernsthaft: Starten? Aber wohin?
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Als Feldversuch setzt »Arbeit statt Almosen« auf ein ganz klassisches Manöver: die gute alte Vorbestellung. Sie mindert das verlegerische Risiko, welches im Fall des Projekts von der Gruppe der beteiligten Autorinnen getragen wird, nicht vom Verlag. Die Menge an Vorbestellungen entscheidet und nicht die PR-Abteilung, ob das Werk gedruckt wird. Es bedarf 520 vorverkaufter Bücher, 520 Literaturliebhaber*innen, die nach persönlicher Anfrage der Meinung sind, das interessiere sie: Dieses Werk möchten sie lesen. Nur ihretwegen wird es den Titel geben. Ansonsten wäre er auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen der Ordner eines Laptops verschwunden.*
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*»Wer Crowdfunding zum ersten Mal versucht, mag glauben, dass sei einfach: Was sei schon 520-mal ein begeistertes ›Ja!‹? Denen sei gesagt: mindestens 30 Tage Vollzeitbeschäftigung samt Überstunden. Denn die Schwierigkeit besteht nicht darin, ihre Akzeptanz zu erlangen, die Schwierigkeit ist, sie in Zeiten der Distanz zu erreichen. Wie kommt man mit jemandem ins Gespräch, wenn man das Haus nicht verlassen soll? Ich nutzte all die Dialoge mit Leser*innen, die ich während vergangener Jahre führte. Bei Veranstaltungen, die Leser*innen miteinbeziehen, das dünkt mir Alpha und Omega, und Werkdialoge als Lesungsform lehrten mich, dass Leser*innen auf Augenhöhe wahrgenommen werden wollen. Sie möchten in ihrer eigenen Menschlichkeit gesehen werden, und das ist gut so. Ihnen wahrhaftig zu begegnen, das kann für Literat*innen inspirierend sein, denn Leser*innen leben und arbeiten in der Welt, die wir reflektieren, sie liefern uns Einblicke aus erster Hand, deshalb sollten wir das Gespräch mit ihnen unbedingt suchen! Noch eine Erfahrung, die ich bei einem früheren Projekt – »Wir tragen unsere Haut zu Markte« – machen durfte, als ich meinen Partner Robert Gampus mit meinem Buchkoffer zu diversen Gemüse- und Weihnachtsmärkten begleitete: Literatur verkauft sich nicht des Covers wegen, auch der Klappentext ist nicht entscheidend, es bedarf eines Menschen, der mit seiner Begeisterung ansteckt. Die Zeiten, in denen Bestseller damit gemacht wurden, dass ein Verlag Auslagenfläche oder Präsentiertische kaufte, wie dies bei großen Buchhandelsketten üblich ist, scheinen zumindest in unserem Teilbereich des Segments passé zu sein. Solche Ausgaben könnten sich Verlage also durchaus sparen, und stattdessen in die Beziehung zu versierten Buchhändler*innen investieren, sie einladen, ihnen die Werke vorstellen. Als Assistentin der ehrenamtlichen Buch-Sucht begleitete ich meinen Mann manchmal in Buchläden – das geht nicht? das seien viel zu viele? – Nun, Crowdfunding lehrt anderes!«
»Wir fangen etwas an, wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie.« Hannah Arendt
Interessant ist in den Augen der Initiator*innen des Projekts, dass just ein überwiegend im Sachbuch verankerter Verlag mit Fokus auf Kulturgeschichte und einer Vorliebe für Anthologien – »Promedia« in Wien – ohne Wenn und Aber dazu bereit war, auf ihre vorgeschlagene Form einer neuen Zusammenarbeit einzugehen und die Anthologie als »Edition Arthof«-Imprint in das Herbstprogramm aufzunehmen. Kein Feilschen, kein Kuhhandel. Es sei ein faires Angebot, hieß es seitens Hannes Hofbauers und Stefan Krafts.
Von den Leser*innen, die in Vorleistungen gingen und ihre Bestellungssumme auf einem Treuhandkonto deponierten und die damit das sogenannte ›verlegerische Risiko‹ mittragen, kam kein Wort der Klage über den auf € 22 exklusive Versand fixierten Buchpreis; im Gegenteil. Sie teilten den Autorinnen mit, er sei ihres Erachtens zu gering. Viele steuerten obendrein noch einen zusätzlichen Betrag bei oder orderten, in Erinnerung an Weihnachten und andere Anlässe, mehrere Exemplare. Dieses Engagement der Leser*innen mag Corona geschuldet sein, der erhöhten allgemeinen Aufmerksamkeit für die Lebensverhältnisse von Künstler*innen. Deshalb tut gerade jetzt ein kulturpolitischer Diskurs für die Zukunft not, denn ›wie gewohnt‹ wird es auch 2021 nicht weitergehen.*
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*»Es stellt sich die Frage, ob nicht die Ladenpreise für Bücher zu gering sind. Betrachte ich die letzten zwanzig Jahre so scheint mir, sie hätten sich im Gegensatz zu anderen Waren kaum bis gar nicht erhöht. Im Jahr 2000 kostete ein Liter Milch umgerechnet rund € 0,70 im Durchschnitt; heute liegt der Preis über einem Euro. Oder denken Sie an Brot! Dafür legen Sie gut und gern den Betrag eines halben Taschenbuchs hin. Analog zu anderen Preisentwicklungen würde ein Taschenbuch mit € 7 aus dem Jahr 2000 heute € 12 betragen. Sollte Ihnen das Buch nicht ins Feuer fallen, begleitet Sie letzteres aber Ihr Leben lang. Dass ich Bücher mit Lebensmitteln vergleiche, mag manchen verwundern, mir sind sie lebensnotwendige Überlebensartikel.«
»Das edle: Ich will! hat keinen schlimmeren Feind als das feige, selbstbetrügerische: Ja, wenn ich wollte [wie ich könnte]!« Marie von Ebner-Eschenbach
Von unverkäuflichen Anthologien, unfähigen Frauen und einem Faible für steinige Wege
Was die Autorinnen des Projekts ihren Leser*innen für ihre Vorbestellung versprechen, ist eine Entdeckungsreise: 20 literarische Arbeiten rund um ein Thema und die Möglichkeit, dabei weitere Literatinnen kennenzulernen. Das Echo darauf frappierte die Initiator*innen, beinhaltet die Idee doch mehrere Stolpersteine:
Erzählbände und Anthologien werden in hiesigen Verlagen gerne mit dem Etikett ›unverkäuflich‹ abgewimmelt; außer es handelt sich dabei um Übersetzungen, vorzugsweise aus dem angloamerikanischen Raum, dann kursieren sie unter dem Etikett ›Bestsellerverdacht‹.
»Der schlimmste Fehler von Frauen ist ihr mangel an Größenwahn.« Irmtraud Morgner
Der zweite – und vermutlich weitaus klobigere – Stolperstein, den sich die Initiator*innen bewusst in den Weg rollten, war ihre Entscheidung, einzig Frauen zu nominieren, von denen seitens der Verlage gerne behauptet wird, sie seien ein Risiko, da kaum männliche Kritiker ihre Arbeiten besprechen. Bislang strafen zahlreiche Herren der flinken Feder diese Unkenrufe Unfug, und das Team der 20 arbeitet daran, dass dies so bleibt, denn Frauen haben unserer Gesellschaft durchaus Relevantes zu sagen und die wenigsten unserer Zeitgenoss*innen sind derart borniert wie ihr Ruf tönt. Der Versuch »Arbeit statt Almosen« stellt hiermit auch die Frage in den Raum, inwiefern wissenschaftlich belegte mangelnde Rezensionen der literarischen Arbeit von Frauen wirklich den Kritikern anzulasten sind oder ob der Keim hierfür nicht anderswo steckt.
»Fragmente: Die Zeit danach« will nicht nur mit der Förderung eines Diskurses rund um das Projekt zur Gestaltung einer Zukunft beitragen, es ist außerdem werkimmanenter Teil der 20 Beiträge, drei Schritte weiter zu denken, um von der Zeit danach zu erzählen: Was kommt nach der Krise?
Unser Dokumentarfilm-Projekt beschäftigt sich mit der Frage, wie das Danach im literarischen Feld gestalten? Denn ›wie gewohnt‹ kann – und soll! – es nicht mehr weitergehen. Das aber bedarf noch eurer Hilfe! (www.startnext.com/fragmente)