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Eine implizite Notiz zum baldigen Jahresende.

Wie Sie wissen, habe ich in der letzten Zeit allerhand politische Bücher verlegt, mit denen Sie sich ja hinlänglich beschäftigt haben. Nun aber ist es Zeit für etwas Anderes. Ein bisschen 

›schöne Literatur‹, die soll man ja auch pflegen. Wie wäre es denn … mit einer kleinen Liebesgeschichte? Einem netten Kriminalroman, so richtig bodenständig? Darf durchaus auch etwas humorvoll sein! Oder liefern Sie doch für das neue Jahr einen historischen Roman – nicht zu fern, 1950er Jahre, die erfreuen sich derzeit großer Beleibtheit. Überlegen Sie sich das einmal! Das Buch soll bitte auch nicht teuer werden, 180 Seiten, das genügt. Und ich drucke Ihnen für den Anfang zehntausend Stück. Oder tausend; je nachdem. Die befreundeten Sortimenter sagen mir jedesmal auf meinen Reisen, wie gern die Leute so etwas lesen. Das wäre ein guter Titel für den Sommer. Die Tantiemen in Höhe von € 460, die Sie aus der Publikation vor zwei Jahren noch gut haben, die überweise ich gerne. Wenn Sie unbedingt darauf bestehen. Aber bei der kleinen Summe lohnt sich der Aufwand eigentlich nicht. Sagen Sie mir, auf welches Konto. Es grüßt,

Ihr Verleger

 

 

Eine kleine Liebesgeschichte? Und nett soll die auch noch sein? Wie denken Sie sich das? Wer liebt denn heute noch? Und wer wird noch geliebt? Oder fühlt sich wenigstens so? In dieser berührungslosen Zeit! Lieben Sie? Oder gehen Sie schon auf Distanz? Vor allem aber: Wie soll ich mir denn die Inspiration dazu derzeit aus den Fingern saugen? Phantasie haben doch gegenwärtig vor allem Verleger und Veranstalter, wenn es darum geht, Ihre ›Planungsunsicherheit‹ zu beschwören. Als hätte es jemals Sicherheit in der Planung gegeben! Davon abgesehen: Ich erlebe ja nichts Romantisches! Eingesperrt in vier Wände. Sie etwa? Und sagen Sir nicht, ich betrüge ja sowieso jeden Mann ausschließlich mit meinem Laptop. Wenn ich mir Ihre ›nette kleine Geschichte‹ ausdenken muss, dann braucht es dazu schon einen Anreiz. Schreib ich den Leserinnen nicht ihren Wunschtraum (›Sie hörte seine Schritte näher kommen, der Klang der Lederpeitsche, die durch seine Hand glitt, bald schon würde er sie damit lächelnd beglücken.‹), bleibt mir nur die erstickende Eintönigkeit der Partnerschaft im Lockdown. Was wir doch beide langweilig fänden, dieses Zimmerturnen, es bringt nichts Neues auf die Laken. Außerdem wurde die conditio humana in jüngerer Vergangenheit zu oft gekaut. Woher nehmen und nicht bei Houellebecq stehlen? Selbst der schmeckte vergangenes Jahr schon fade.

Apropos Langeweile: Ihrer Abrechnung entnehme ich, dass Sie erneut 230 Rezensionsexemplare verschickt haben. Wenn so viele Rezensent*innen allen Ernstes ihr Interesse bekundet haben, frage ich mich, weshalb haben dann keine 30 etwas darüber schreiben konnten. Ihre Schwarze Liste muss wahrlich jährlich länger werden! Nehmen Sie es mir nicht übel, aber so jagen Sie den sauren Schweiß Ihrer Autor*innen durch den Schornstein und ins All? Kein Wunder, daß Sie auf Leder gegen Taxometer kutschieren, während unsereins Schusters Rappen und die Ökologie der 2. Klasse bemüht. Dass Sie mir gut sind, wusste ich. Dass Sie mir für € 460 gut sind, erfreut meinen kommenden Monat. Bitte überweisen Sie wie bisher auf bekanntes Konto. Übrigens könnte ich auch wieder einmal auf Lesereise fahren. Sobald die Regierung es erlaubt.

Ihre Autorin

 

 

Also das können Sie mir wirklich glauben, wenn ich 230 vermerke, sind es auch 230! Wollten Sie mir anderes unterstellen, bin ich an keiner zukünftigen Zusammenarbeit interessiert! Und wenn die Journalisten nichts dazu schreiben, kann ich das nicht ändern. Gegenwärtig sind halt alle Zeitungen mit einem Thema voll. Da passt Ihr politischer, gesellschaftskritischer Roman ja wirklich nicht dazu!

Wenn Sie, liebe Autorin, unsere Bilanz sähen, wüssten Sie, dass mir wirklich nicht zum Scherzen ist. Kein Verleger hat es heutzutage leicht. Niemand verdient sich damit mehr eine goldene Nase. Ohne jene 230 Hoffnungsträger könnten wir gar nicht existieren! Wir würden glatt verhungern! Für die 45 Remittenden kann ich auch nichts. Außerdem können Sie mir schon glauben, dass ich weiß, was ich tue. Oder haben Sie daran Zweifel?

Die Liebesgeschichte, gerne auch historisch, 50er-Jahre oder mit Regionalbezug und unterhaltsamen Mordfällen ohne Blut, bloß nichts Makabres oder Morbides, Absurdes gar, sollten Sie sich durch den Kopf gehen lassen. Die Leute brauchen etwas, das Ihnen Freude bereitet, sie ein bisschen ablenkt. Sie glauben gar nicht, wie das gegenwärtig fehlt! Nur eine knappe Erzählung, gut 20 Bögen, 160 Seiten, nichts Umfangreiches, etwas, das die Emotionen anspricht, mit einem pastellbunten Umschlag, kartoniert, humorvoll – nicht ironisch. Auf keinen Fall Sarkasmus. Schlicht in der Sprache. Einfach. Leicht verständlich. Tausend Stück. Ich könnte Ihnen dann sogar entgegenkommen und würde die Anzahl der Rezensionsexemplare auf 14% senken. 

Wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Vereinbarung Ihrer nächsten Lesereisen. Lassen Sie mich Ihre Termine wissen!

Ihr Verleger

 

 

Lieber Meister,

Ihr Porträt in der winterlich-unterkühlten Buchhandelsrundschau ist wahrlich gut getroffen! Und wie Sie über die Literatur sprechen: Allesamt gute Kollegen. Ich frage mich bloß leise, weshalb Ihnen für diese Adventausgabe keine einzige Kollegin einfallen mochte? Sei’s drum. Der Köder mit den 14% ist jedenfalls nicht fett genug, damit der Fisch anbeißt. Zwölf wäre sowieso eine schönere Zahl. Die würde übrigens sogar biblisch zu Ihren 160 Seiten passen – wussten Sie, dass im Buch der Bücher die Zwölf 160 mal vorkommt? Die Liste der Phänomene der Zwölf ließe sich übrigens noch seitenweise weiter thematisieren, aber so viele freie Stunden haben weder Sie noch ich, um uns daran zu erfreuen. Nur so viel: Sie gilt als die Vollkommene. Und würde sich auch im Vorschuss, den Sie nie zahlen, gut machen. Dann wäre jeder Monat gesichert und Sie bekämen Ihre liebreizenden 160 sogar pro Quartal. Neben Liebesglück, 50-Jahr und Mord in der Landschaft, ließe sich sicherlich auch noch ein viertes Genre finden; vielleicht zartes Seiden-Bondage auf der Alm? Nichts Schockierendes natürlich. Denken Sie darüber nach, lassen Sie es sich von mir aus sogar durch den Kopf spazieren, wenn es darin bloß Wohnung nimmt. Geben Sie Ihrem harten Verlegerherzen einen Stoß. Bei 14%, 1.000 Stück, 10% Tantiemen und 0 Vorschuss, fällt mir bestimmt nichts ein – ich dichte erst ab 12 zu 12. 

Für die guten Wünsche zur Lesereise danke ich herzlich: In meinem Kalender stehen heilige Sieben, begleitet von vierzehn Fragezeichen: Die Absage ist die neue Vereinbarung. Vielleicht wissen Sie ja nach Dreikönig etwas für mich? Im nächsten Jahr wird auf jeden Fall alles: Besser! Behaupten diejenigen, die daran glauben.

Ihre Autorin 

 

 

Liebe Leser*innen,

Ihnen aber seien – während ich so nachdenke, was zu Ihrer Ablenkung befähigt wäre oder wieso Sie dieser nun mehr bedürfen als zuvor und weshalb Sie Ihnen sinnvoll sein könnte, was ich bezweifle – geruhsame und gesunde Feiertage gewünscht! Lassen Sie dies anstrengende Jahr wohl in die Vergangenheit gebettet hinter sich, bleiben Sie gesund und der Literatur zugeneigt. Nicht vergessen: Sechs Minuten durchgängige Lektüre, über die sich ein Nachsinnen lohnt, mit einem wärmenden Babyelefanten zu Ihren Füßen und Ihr Herzschlag verlangsamt sich, Ihr Stresspegel ob der Feiertage sinkt, die Stefanibåcht (vulgo Weihnachtskeks) wird verdaut und Ihre Zukunft blickt Ihnen rosig entgegen: Ist das nicht Ablenkung und Grund genug, zur Literatur zu greifen?

Herzlich,

Ihre Autorin

 

          

(In Anlehnung an den Briefwechsel zwischen Ernst Rowohlt und Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1931, seiner ›leichten Sommergeschichte »Schloss Gripsholm« kommentarlos als »Kapitel I« vorangestellt. Ähnlichkeiten mit der realen Gegenwart sind kein Zufall, sondern durchaus intendiert.)