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»Die Leere der Vase« von Galal Alahmadi. Oder: Lest Lyrik! Nein, lest diese Lyrik.

Der beeindruckendste Lyrikband erschien dieses Jahr meines Erachtens im »Secession Verlag« in Berlin und trägt den Titel »Die Leere der Vase«. Galal Alahmadi, 1987 in Saudi-Arabien geborener Jemenit, lebt und arbeitet mittlerweile in Berlin. Wer nun meint, bereits alles zu wissen, der oder die irrt – und zwar gewaltig. Natürlich ist der Verlust ein Thema dieses Autors, aber er gestattet es uns nicht unseren Voyeurismus an ihm zu stillen. Verständlicherweise steht auch das Leben in der Fremde im Fokus, aber Alahmadi gewährt uns nicht das Vergnügen des Mitleids, nach dessen Empfinden wir seine Worte und seine Gefühle beiseite wischen können, im Gegenteil. Er rührt an, er berührt. 

Seine Gedichte erzählen in stiller Melancholie und Trauer von innerer Leere in Heimatlosigkeit, sie kennen aber auch in  Gedichten mit Titeln wie »7 Arten, eine Orange zu schälen« oder »Wie arme Schlucker groß werden« eine feine Komik, die man stellenweise wahrlich wienerisch nennen könnte. Nie verkommt sie zum schenkelklopfenden Bruhuhahah, sondern sie bleibst stets eine Berührung durch das Wort, wenn es z. B an die hässlichen Gespenster des Lebens gewandt heißt:

»Im Schrank habe ich einen Winter für euch / und in meiner trostlosen Bleibe könnt ihr euch langweilen / Lasst uns zum Abendessen modrige Gesichter speisen« (S. 112). 

In manchen wendet sich der sanfte Ton abrupt zu eisiger Kälte, deren Eindringlichkeit man sich nicht entziehen kann, da sie einen (gekonnt) unvermutet trifft.  Sie entlarven den menschlichen Irrsinn – wie in »Kleines Herz« –, indem sie ihn in Zeilen wie der folgenden auf den Punkt bringen: »Im Leben anderer haben wir mehr getan als in unserem eigenen.« (S. 168) Da kann es dann auch schon mal geschehen, dass man sich »eine Erinnerung am falschen Ende anzünde[t].« (S. 38)

Mehrheitlich wenden sich diese Gedichte an ein Du, mit dem das lyrische Ich in Kommunikation tritt, bei einigen wenigen wird die Dominanz des Dus derart gesteigert, dass das Ich darob verlustig geht – z.B. in den bereit erwähnten »armen Schluckern« oder den »7 Arten, eine Orange zu schälen«, aber auch in »Das Wort, das …« oder in »Sie wissen nicht, was Liebe ist«. Einige wenige Gedichte richten sich direkt an einen Gott, andere thematisieren das Sprechen, die Sprache. Über diese heißt es:

»Das Liebste am Sprechen ist mir / die flüchtige Stille nach jedem Wort.« (S. 196)

Ich kann wirklich nur jedem und jeder empfehlen, einzublättern und sich von diesen Sprachbildern die Galal Alahmadi zeichnet,  berühren zu lassen; Und wer noch nicht überzeugt ist, dem sei abschließend »Was soll an Erinnerungen gut sein?« zur Lektüre überreicht:

Quelle:

Alahmadi, Galal: Die Leere der Vase. Berlin: Secession 2021.