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Eloísa Díaz: 1981. Oder: Der Hüter meines Bruders. 20 Jahre argentinische Geschichte

Ein Debütroman, kein Kriminalroman, das sei gleich zu Beginn vermerkt. Zwar wird jemand ermordet, und ja, es gibt eine erzählende Figur, der obendrein Polizist ist, Joaquín Alzada mit Namen, und der herauszufinden versucht, wer der Täter gewesen ist. Wer sich aber nun die Suche nach einem oder mehreren Mördern erwartet, Befragungen, falsche Fährten, schwierige Situationen sowie bedrohliche Ecken, Fallstricke und Fallen, der wird mit Sicherheit enttäuscht werden. Nicht bloß weil die Autorin Eloísa Díaz das Whodunit-Spiel auf keiner Seite anstrebt, sondern auch weil der Handlungsstrang ›unbekannte Frauenleiche in Müllcontainer gefunden‹ nicht den Spannungsbogen trägt, im Gegenteil. Weitaus dynamischer und verstörender ist nämlich der zweite Erzählstrang, der in der Vergangenheit Joaquíns ansetzt: Nach dem frühen Tod der Eltern wuchs er mit seinem jüngeren Bruder Jorge bei den Großeltern auf, fühlte sich seither für ihn verantwortlich. Insbesondere, weil er den Jüngeren in eine linke Bewegung einführte, Jorges politische Überzeugungen so mitprägte. Während eigener Überlebensdrang Joaquín bewog, eine bürgerliche Existenz zu wählen, ein Polizist mit Familie und Verantwortung für diese, entschied sich Jorge anders: Zu jener Zeit zwar gleichfalls verheiratet und Vater eines kleinen Sohnes, blieb er, mittlerweile Universitätsprofessor, seiner politischen Einstellung treu. Wegschauen und antidemokratische Machenschaften ignorieren, das kam für Jorge nicht in Frage. Nach dem Putsch 1976 schließt er sich den »Montoneros« an, einer linken Guerillaorganisation, welche die Militärjunta absetzen will. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Land steigern sich zusehends, da mehr und mehr Menschen, die dem Regime unliebsam sind, ›verschwinden‹. Lange Zeit gelingt es Joaquín, den jüngeren Bruder durch seinen Beruf vor einem Zugriff der Machthaber zu schützen. Zeitgleich wird Joaquín aber auch mitschuldig an den Verhältnissen im Land, weist er Verwandte auf der Suche nach ›verschwundenen‹ Familienmitgliedern ab, blickt er weg und hilft so dabei, die Gräueltaten der Militärjunta zu vertuschen. Es kommt, wie es irgendwann kommen muss: Den Tod seines Bruders und seiner Schwägerin, in Folge der Folter durch das Militär, kann Joaquín letztlich nicht verhindern. Nur Jorges Sohn bei sich aufnehmen und ihm ein (Über-)Leben ermöglichen, indem Joaquíns Frau und er das Kleinkind als ihr eigenes ausgeben. Zwanzig Jahre lang, dann ist Jorges Sohn ein junger Mann geworden, der Antworten zur Vergangenheit und zur Rolle seines Onkels darin einfordert. Obendrein befindet sich Argentinien in diesen Dezember-Tagen 2001 erneut in einer Situation des Umbruchs, die Finanzkrise hat sich bis zur Unerträglichkeit zugespitzt. Noch unklar ist, ob die Macht des Militärs erneut erstarken wird oder ob eine Wende gelingt; unklar ist auch, ob Joaquín dieses Mal den Mut haben wird, für seine Überzeugungen einzutreten …

Ein fulminant spannender politischer Roman zur jüngsten Vergangenheit Argentiniens, der – neben Einblicke in die 1980er Jahre und ihre Folgen – auch die Frage nach Schuld und Verstrickung stellt.

Die Autorin Eloísa Diaz, Tochter argentinischer Auswanderer, wurde 1986 in Spanien geboren. Sie studierte Jura in Frankreich und Creative Writing in den USA. »1981« ist ihr erster Roman. Mit dessen Übersetzung ins Deutsche wurde Mayela Gerhardt beauftragt, eine gebürtige Mexikanerin, die Literaturübersetzung in Deutschland, England und Spanien studierte und die heute in Barcelona lebt. 

 

Diaz, Eloísa: 1981. Hamburg: Hoffmann und Campe 2021.