Gertrude Stein erzählt in »Things as they are« (deutscher Übersetzungstitel: »Q.E.D.«) die Geschichte einer Dreiecksbeziehung. Bei der Überquerung des Ozeans macht die junge Adele die Bekanntschaft zweier Amerikanerinnen wie sie selbst, auf dem Weg nach Europa. Bereits während der rund zehn Tage umschlossen von der Enge des Schiffes entsteht ein Nahverhältnis zu einer der beiden Reisenden namens Helen, das sich für Adele nicht wirklich einordnen lässt. Dem ist das vor, was Adele Moral nennt. In Wahrheit aber auch eine große Scheu, sich auf Nähe und damit verbundene Emotionen einzulassen. Da ihr unbekannt ist, was sie empfindet, es sich für sie und ihre Erfahrungen, die sich primär aus Lektüren, doch nicht aus gelebtem Leben nähren, auch keineswegs zuordnen lässt, wird das Empfinden zur bohrenden Verunsicherung.
Erst ein Wiedersehen Monate später in New York bringt Klarheit: wechselseitige Anziehung, der Wunsch nach einer vertrauten Freundschaft, die nicht dort endet, wo die puritanischen Konventionen den Schlussstrich ansetzen. Darf man diese Normen und Schubladen infrage stellen? Und was tun, wenn die Sehnsucht beidseitig, Helen aber bereits liiert ist, mit Mabel, wie Adele herausfindet. Was sagt Adeles Moral dazu? Verbietet sie es, sich in eine bereits existente Beziehung zu mengen? Adele kommt vorerst zu dem Schluss, dass dem nicht so sei. Sie habe keinerlei Verpflichtung Mabel gegenüber, sie nehme ihr nichts. Was sie empfinden, Helen und sie, das gehe nur sie beide etwas an. Dennoch nagt die Unsicherheit darüber weiterhin an Adele. Final kann sie sich des Eindrucks auch nicht erwehren, Mabel ›etwas zu stehlen‹. Eine Sichtweise, die sich auch damit verquickt, dass es ein Gefälle zwischen Helen und Mabel gibt, eine Abhängigkeit, und Adele – wir kennen ja nur ihre Einschätzung der Verhältnisse – vermutet, es habe finanzielle Gründe:
»›Ach, es ist einfach Prostitution‹, sagte sie bitter zu sich selbst. ›Wie eine stolze Frau, und Helen ist eine stolze Frau, sich eine derart erniedrigende Unterwerfung gefallen lassen und derart gemeine Lügen erzählen kann, dem Luxus zuliebe, das läßt mich völlig ratlos. Scheint mir, ich würde lieber verhungern oder wenigstens für meinen Lebensunterhalt arbeiten. Und doch, man weiß nicht, wenn man sehr in Bedrängnis wäre. Man hat gut reden, wenn man alles hat, was man will, und Unabhängigkeit obendrein. Ich weiß nicht, wenn ich stark unter Druck wäre, könnte ich es vielleicht auch tun, um mein Auskommen zu haben, aber es ist doch eine Zumutung.‹« (S. 95)
Sehr spannend auch die Art und Weise, wie wiederholt die Frage (dar)gestellt wird, ob jemand noch das Recht hat, dagegen aufzubegehren, wenn eigene Grenzen übertreten werden, wenn dieser Mensch selbst freiwillig Grenzen übertritt, welche die Mehrheit der Gesellschaft als gegeben ansieht. Sonderbarerweise – aus heutiger Sicht – beharrt Adele darauf, man habe dann dieses Recht verwirkt, Respekt für sich selbst einzufordern. Im Gegensatz dazu Helens Sichtweise, die sich gehörig echauffiert, da ein paar Männer sie unflätig anmachen, als sie der Kälte wegen allein in einem Lokal sitzt (und auf Adele wartet) – statt mit einem Mann oder ›wenigstens‹ in Gesellschaft einer Frau. (Sind wir froh, dass sich diese Denke verändert hat!)
Naturgemäß geschieht, was in einem Dreieck geschehen muss: Mabel verfolgt Helen mit ihrer Eifersucht, und sie wird Adele gegenüber spitz. Ihre Eifersucht lässt sich auch nicht bereden. Natürlich nicht. Obgleich Helen davon ausging.
Und die Idee, als Trio Italien zu bereisen, ist gleichfalls keine besonders gute. Die gemeinsamen Tage in Rom, Florenz und Siena werden für Helen und Adele zur Last, die sich als Erschöpfung einschreibt. Mabel ist unausstehlicher denn je zuvor. Nichtsdestotrotz will Helen an beiden Beziehungen festhalten, was Adele zu dem finalen Ausruf veranlasst: »Hat sie noch immer nicht gelernt, daß Dinge nun mal passieren und sie nicht groß und stark genug ist, sich ihnen entgegenzustemmen […]… Kann sie die Dinge nicht sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sie machen würde, wenn sie Kraft genug hätte, was sie eben nicht hat. Ich fürchte, das kommt sehr nahe an den Zustand der Ausweglosigkeit heran […].« (S. 102)
Damit schließt dieser Roman und überlässt es dem Lesenden, seine Schlüsse zu ziehen.
Bemerkenswert an »Things as they are« ist die Offenheit, mit der Küsse und Umarmungen genannt werden – schließlich schreiben wir das Jahr 1903! Geriet es deshalb in ›Vergessenheit‹?
Bemerkenswerter als der Inhalt sind die drei unterschiedlichen Klangräume, die Gertrude Stein öffnet: Erzählt die Hauptfigur Adele, wird bereits die großartige Erzählerin Gertrude Stein zu ahnen. Es sind beeindruckend klare Sprachbilder, die sie webt. Auf den Punkt gebracht stehen sie zwischen den anderen Sätzen, oft basierend auf Naturbeobachtungen, die für das emotionale Empfinden stehen. Famos ist die Sequenz über den Winternebel in London, der für eine Amerikanerin, die an die Weite gewöhnt ist, unerträglich drückend wird. Oder auch die Passagen über das Meer … Hier wird bereits Steins feine Beobachtungsgabe und die Präzision ihrer Sprache deutlich.
Einen anderen Klangraum machen die eingeschobenen Briefpassagen auf: Sie erzählen in sehr direkter Weise von den Empfindungen, sind in einer komplexen Schriftsprache verankert, die das Gegenüber eher analysiert und nicht vom eigenen Erleben erzählt.
Als dritter Klangraum kommen die gehäuft auftretenden Dialoge hinzu. Diese Sätze wirken wie Fremdkörper. Sie erinnern in keiner Weise an gesprochene Sprache. Wirken konstruiert und hölzern – auf den ersten Blick. Denkt man länger darüber nach, macht diese Sprachwahl aber durchaus Sinn, denn die Bezüge der drei Frauen zueinander kranken nicht primär am Dreieck, sondern sie leiden darunter, dass die Situationen, in denen eine von ihnen freimütig das Wort ergreift und zur Sprache bringt, was in ihr ist, zusehends marginaler werden. Die Stille lastet in den Räumen. Es drücken aber auch die Wörter, die irgendwann doch hervorgestoßen werden. Oft eher um zu verletzen. Oder um dem eigenen Selbst die Klarheit, zu der man nach Tagen des Schweigens gekommen ist, zu Gehör zu bringen. Was aber soll das Gegenüber mit solch einer Quintessenz anfangen, wenn alles andere dazwischen fehlt?
Gertrude Stein verfasste diesen knappen Roman 1903. Sie hatte im Jahr 1900 in Baltimore – eingeschrieben als Studentin für Psychologie und Medizin – eine Gruppe reicherer Ostküsten-Mädchen an der Universität kennengelernt, unter ihnen May Bookstaver und Mabel Haynes. Stein, welche die Beziehung zwischen Bookstaver und Haynes nicht durchschaute – auch das ein dominantes Thema im Roman! –, freundet sich mit May an. Auf Nähe folgt erfahrene Grausamkeit und Nähe erneut. So reicht May Gertrude Steins Briefe herum, lacht und spottet mit anderen über sie …
Diese Erfahrung einer ersten Liebe dürfte durchaus einschneidend gewesen sein, denn auf die Niederschrift von »Things as they are« folgte eine ähnliche Episode in »Fernhurst« sowie in »The Making of Americans« ebenso wie in »Three Lives«. Und May Bookstavar? Heiratete Charles Knoblauch 1906, versuchte aber 1908 Gertrude Steins »Three Lives« bei einem Verlag unterzubringen und machte sich später – wiewohl vergebens – für Steins »The Making of Americans« stark.
Und Mabel Haynes? Sie fand in »How to Write« Eingang in den Abschnitt »Regular Regularly in Narrative«; mit ihren österreichisch-italienischen (Kindes)Kindern, denn Mabel heiratete den Offizier Konrad Heissig und lebte mit ihm und mit den beiden Kindern in Galizien. Er, der konstant unter Nervenkrisen litt, verstarb früh. Als die gemeinsame Tochter Itha 1927 einen Italiener heiratete, lud Mabel Haynes Gertrude Stein zur Hochzeit ein. Was Gertrude Stein daraus 1931 macht, kann man hier sehen – und auch die radikale Veränderung ihres Erzählstils erkennen:
Quellen:
Stein, Gertrude: Q.E.D. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996.
Stein, Gertrude: How to Write. Mineola, NY: Dover Publications 2018.
Sowie:
http://www.elisarolle.com/queerplaces/klmno/Mabel%20Haynes.html
http://www.elisarolle.com/queerplaces/klmno/May%20Bookstaver.html