Von meinem Schreibtisch aus sehe ich Frühjahr bis Herbst vor allem eine Farbe: Grün. Je nach Jahreszeit mit zartrosa Blüten der Heckenrose übersät, trägt im Sommer das kräftige Gelb des Johanniskrauts oder tupft sich rot mit Weichseln, wird in der Trockenheit zu früh gelbfleckig, bevor die Blätter fallen. Sehe Himbeersträucher und das wuchernde Grün der Kürbisse, der Zucchini, dahinter die Tomaten: Der Garten, so wild er im Dorfvergleich auch wirken mag – naturnah, würden andere ihn nennen –, ist mir seit Jahren Ausgleich zu geistiger Arbeit, Ruhepol und körperliches Betätigungsfeld, ist Freude und manchmal Ärgernis.
Wenn es mir verwehrt ist, im Garten zu werken, weil es endlich regnet, schmökere ich stattdessen in Gartenbüchern. Vorzugsweise in solchen, in denen es nicht darum geht, wie Schädlinge abzuwehren sind oder welche Pflanzen welchen Standort genießen könnten, sondern in solchen Raritäten wie »Blicke ins Grüne. Neun schreibende Frauen und ihre Gärten« – ich bin mit George Sand und Virginia Woolf nämlich in guter Gesellschaft! Die Autorin der »Blicke ins Grüne«, Dr. Annette Diekmann-Müller, promovierte mit einer Arbeit zur Botanik- und Pharmaziegeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts und führt durch den Botanischen Garten in Würzburg.
»Blicke ins Grüne« ist ein sehr schön gestalteter Band, der auf ein knappes Frage-Antwort-Intro zu jeder ausgewählten Literatin einen biographischen Abriss folgen lässt, bevor feinsinnig den Verbindungslinien zwischen Natur und Werk nachgespürt wird. So erfährt man, dass Emily Dickinson ihre Gedichte ›Blumen‹ und ›Blüten‹ nannte, erkennt die Bedeutung des eigenen Gartens für Frauen aus dem 19. Jahrhundert als einen Ort des Seins frei von gesellschaftlichen Normen und Zwängen, erkennt sich wieder im Garten als Therapie wie bei Frances Hodgson Burnett oder staunt über Selma Lagerlöfs Wunsch darin ein Paradies zu gestalten. Aber auch der (zu große und zu teure) Garten, dessen Pflege Edith Wharton zur Last wird, findet Erwähnung; ebenso der Garten Virginia Woolfs als Inspirationsraum für Metaphern. Das »duftende Nest«, das sich George Sand schuf und das dazu beitrug, dass sie in späteren Jahren schreiben konnte: »Es gibt kein wolkenloses Glück. Aber ein relatives Glück, ein Glück, das sehr groß ist im Vergleich zu demjenigen der Schlechten, Dummen und Einfältigen, das ist wohl möglich.«
Apropos George Sand: Eine Literatin, zu der mir mein Doktorvater einst unbedingt riet und zu der ich als junge Frau keinen Zugang fand, beginnt mich mehr und mehr zu faszinieren, aber das ist eine Geschichte, die gesondert erzählt werden will.
Bevor die Beiträge, die außerdem die Gärten Bettina von Arnims, Annette von Droste-Hülshoffs und Sisis zum Thema haben, mit wertvollen weiterführenden Literaturhinweisen schließen, findet sich jeweils auch der Abschnitt ›Was bleibt?‹, der die Gartenjahrzehnte nach dem Tod der Hüterinnen thematisiert: Welcher grüne Lebensraum unter freiem Himmel wurde Teil einer Gedenkstätte, welcher wurde von Gräsern und Schlingpflanzen überwuchert und zur Vergangenheit, welcher wurde von späteren Besitzer*innen in einen Tennisplatz umgewandelt, welcher wurde von der Stadt, die das Erbe antrat, in einen (barocken) Zustand zurückversetzt, in eine Epoche, da die dort lebende Autorin noch in den Kinderschuhen steckte, wodurch man ihr Werk und ihre Gestaltung ignorierte. Viel gibt es in »Blick ins Grüne« zu entdecken, will man einen ersten Eindruck der Wechselwirkung zwischen Garten und Natur gewinnen.
Ein Schmökerbuch der anderen Art ist »Frauen und ihre Bücher. Das Glück zu lesen« von Johannes Thiele, welches gemalte Porträts lesender Frauen versammelt, mögen sie nun von Jules Leblanc Stewart sein, der Sarah Bernhardt malte, ein Buch in der Hand, in Gesellschaft der schwedischen Sängerin Christine Nilsson, oder die flirrende Versunkenheit in Lektüre der »Lesenden Frau« von Jean-Jacques Henner.
Der »Bücherwurm« von Hermann Fenner-Behmer, ein weiblicher Akt der Versunkenheit, hat nichts gemein mit Carl Spitzwegs gleichnamigem Bücherwurm-Bibliothekar: Im Gegensatz zu seiner angestaubten Grauheit liegt sie im Bett, einzig auf ihre Lektüre fokussiert, sodass ihr sogar der hereingebrachte Tee kalt wird, und weder Zeitung noch bereitgestelltes Frühstück mögen ihr Interesse zu wecken. Nur zu gern wüsste man, was sie da so konzentriert studiert.
Solch konzentrierte Versunkenheit ist bei vielen Darstellungen lesender Frauen wohl die Vorstufe gewesen zur abgebildeten träumerischen Abwesenheit. Vor allem die dargestellten Gartenlektüren erzählen davon, sei es diejenige von Robert Panitzsch (»Im Rosengarten«), sei es die von Peder Severin Kroyer (»Rosen oder Die Frau des Künstlers im Garten von Skagen«), von Gustave Courbet (»Die Charente am Port-Bertaud«) oder Claude Monet (»Lesende im Garten«).
Und obgleich der Titel »Frauen und ihre Bücher« lautet, die Porträts allesamt lesende Frauen an den verschiedensten Orten und in den verschiedensten Posen zeigen, stammen nur sechs der hier versammelten Porträts von Künstlerinnen: Das mag einerseits an der Auswahl liegen, am Augenmerk, welches das Schaffen von Künstlerinnen erfährt (oder das ihm mangelt), es liegt andererseits mit Sicherheit auch daran, dass gerade das Porträt bis ins 20. Jahrhundert eine Männerdomäne war und man Frauen alle Studien am Akt aus angeblichen ›Gründen der Moral‹ verwehrte.
Jene sechs Porträts, verfertigt von Künstlerinnen, stechen auch deshalb ins Auge, weil sie eine andere Geschichte erzählen als die Lesenden-Porträts, die wir aus maskulinem Blick kennen: In einem kargen, schmucklosen Zimmer sitzt in Harriet Backers »Im Lampenlicht« eine Frau am Tisch und liest, ihr Körper liegt im Schatten, einzig ihr Gesicht ist dabei von Interesse. Auch Asta Norregards »Lesende Frau« betrachten wir seitlich versetzt, stehen schräg hinter ihr, der Blick aus dem Fenster in einen trüben Himmel nimmt weitaus mehr Raum ein als ihr am Tisch sitzender, nach vorne gebeugter Körper, das Licht fällt auf die aufgeschlagenen Seiten, auf ihre entspannt ruhende Hand. In Stephanie Paulas »Siesta« wird das Lesen zum lustlosen Blättern in einer Zeitschrift oder einem Bildband, und obgleich die Dargestellte bäuchlings nackt auf einem Sofa lümmelt, liegt Erotik diesem Bildnis meilenweit fern.
Marie Spartali Stillman porträtierte in »Liebessonette« eine versunkene Leserin mit sehr ernstem Gesicht, ein Porträt, das vor allem das Interesse durch seine Farbcodes weckt. Während Buch und Tapete grün-golden sind, setzen Haare, Lippen, Oberteil, Blütenköpfe einen roten Akzent. Apropos Blumen, fasziniert von ihrer Lektüre hat sie längst vergessen, wer ihr diese Blumen gab oder wo sie diese pflückte. Im Gegensatz dazu hat »Beatrice« – gleichfalls von Marie Spartali Stillman –, den Finger noch auf der Zeile, längst vergessen, was sie gelesen hat und träumt vor sich hin.
Eines meiner Lieblingsbilder in diesem Buch ist aber Gillian Furlongs »Sonntagmorgen«: Eine junge Frau sitzt in weißem Trägerkleid auf einem Bett, den Körper der Fensterfront zugewandt, die bis zum Boden reicht, davor – nur zu ahnen – eine Terrasse?, ein Strand?, Boote?, eine Stadt? Im diffusen Morgendunst ist es nicht zu erkennen. Und für die Frau auch ohne Belang, denn sie sitzt vertieft in ihre Lektüre, weder der hässliche Vorhang, der das Fenster umrahmt, noch die geschmacklos gemusterte Bettdecke hält sie davon ab. Ohnedies ist sie in ihrer Lektüre weit, weit weg.
Ebenso faszinierend finde ich Harry Wilson Watrous’ »Just a Couple of Girls«: Kindlich wirkt die Tapete mit ihrem schnappenden Fisch zwischen Irisblumen und Wasserwellen. Davor sitzt ein Mädchen, hochaufgerichtet auf einer Chaiselongue, durch grüne Kissen gestützt, mit Blick in ein Buch. Auf ihrem Schoß aber liegt ein zweites Mädchen, ruht versunken, und man fragt sich, ob die eine ihr vorlas oder wovon sonst die Liegende so sinnierend träumt.
Während ich dies tippe, schieben sich Wolken über die gleißende Sonne, die einem zuvor schon vor Schweiß triefen ließen, tat man auch nur mehr als drei Schritte aus dem ewig kühl bleibenden alten Bauernhof, in dem ich lebe. Eilig nun in den Garten, Mangold, Kartoffeln, Knoblauch, eine Gurke und eine rote Rübe für das Mittagessen ernten, werde nach dem Maisfeld sehen und Stachelbeeren für den Nachtisch pflücken, um danach auf der Gartenbank im Schatten meines geliebten Feigenbaums ein Stündchen zu lesen, eingehüllt in den Duft der Rosen, der Ringelblumen und des Schmetterlingflieders: George Sand liegt schon bereit.
Lektürehinweise:
Dieckmann-Müller: Annette: Blicke ins Grüne. Schreibende Frauen und ihre Gärten von Bettina von Arnim bis Virginia Woolf. Thorbecke Verlag.
Thiele, Johannes: Frauen und ihre Bücher. Das Glück zu lesen. Thiele Verlag.