Über die Buchbranche schreiben: Geschichte des Lesens und des Buchdrucks

Zahlreiche Bücher über die Geschichte des Buchdrucks und des Buchhandels existieren, die bibliophile Menschen erfreuen. Allen voran der Klassiker schlechthin: Alberto Manguels wunderbare »Geschichte des Lesens«. Weniger bekannt, wiewohl nicht minder beglückend, ist »Seitenweise. Was das Buch ist« aus dem sehr empfehlenswerten österreichischen Verlagshaus »Edition Atelier«. Wer die Anekdote liebt, wird mit »Was geschah mit Schillers Schädel?« glücklich werden. Trister sieht es im Bereich des Jugendbuchs für 12 bis 16-jährige aus – wollte ich selbst nicht glauben, bevor ich erfolglos recherchierte, da eine Schule mit der Frage an mich herantrat, ob ich ihnen nicht etwas empfehlen könne.

Wer keine Affinität zu Sachbüchern hat, sondern lieber die Anfänge der Branche in Romanform miterleben möchte, den könnte Christoph W. Bauers historischer Roman »Der Buchdrucker der Medici« erfreuen: Michael Wagner, ein Buchdruckergeselle, macht sich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges auf die Walz und lässt sich schließlich in Innsbruck nieder. Der ersehnte Brief der Tiroler Landesfürstin Claudia de’ Medici macht ihn zum Hofdrucker, und schon mischt er mit und erzählt uns nicht nur, aber auch die Geschichte der Wagner’schen Buchhandlung in Innsbruck. Wer nicht in der Tiroler Landeshauptstadt lebt, für den sind vielleicht die zahlreichen Einblicke in die frühe Zeit des Verlagswesens und des Buchhandels von größerem Interesse: Da ist die Rede vom Aufbegehren der Autor*innen gegen Nullhonorare, von der Entwicklung der Buchmesse als Ort des Tauschhandels wird erzählt, der sich durch die Konkurrenz zwischen dem katholischen Frankfurt und dem protestantischen Leipzig verändert, wobei letztere Stadt bald schon mit mehr Buchhändlern aufwarten kann als Wien und Berlin zusammen haben. Natürlich wird auch in Leipzig der erste Messekatalog gedruckt. Man erfährt, wie sich das Buch vom Utensil des Gelehrten zum Kulturgut des gehobenen Bürgertums entwickelt, welche Rolle Frauen von Anfang an in der Branche spielen, selbst wenn sie offiziell nur ihre Verleger-Gatten ›unterstützen‹ bzw. die Geschäfte übernehmen, bis minderjährige Söhne ausgelernt haben. Der Schrecken der Raubdrucke darf natürlich ebenso wenig fehlen wie der freche Nachdruck gut verkäuflicher Titel anderer Verlage oder die Konkurrenz der Massenware. Auch das Wechselspiel mit der Politik, insbesondere in Kriegszeiten, oder die Entwicklung vom Druckerverleger zum Verlagsbuchhändler und Verlegersortimenter wird erzählt. Man erfährt, dass bezahlte (Schein-)Rezensionen Ende des 18. Jahrhunderts schon eine Plage waren, nicht zu vergessen diverse marktschreierische Werbeaktionen der Leipziger Großverleger. Dass aber Reiseführer und -handbücher im deutschsprachigen Raum erst um 1898 zu boomen begannen, das mag manche Lesenden überraschen, bevor man sich die Rolle, die dieses Genre im Werk mancher Literat*innen der Jahrhundertwende wie Henry James und E. M. Forster spielt, in Erinnerung ruft. Von der Entwicklung der Leihbibliotheken, der Buchgemeinschaften und der Buchautomaten wird erzählt – und wem Letztere nicht vertraut klingen, dem sei gesagt, dass der Reclam Verlag sie in Krankenhäusern, auf Schiffen, in Kasernen und diversen öffentlichen Gebäuden etablierte. Schade, dass man Buchautomaten heute nicht mehr kennt, ich würde mir gerne Lektüre ziehen, sollte ich das mitgebrachte Werk während der Wartezeit am Amt ausgelesen haben.

Als sich nach dem Ersten Weltkrieg das Leben entscheidend verändert, bedeutet dies auch einen weiteren Einschnitt für die Branche: »Vor dem Krieg stellt das Besitzbürgertum die größte Käuferschicht. Durch die Krieganleihen hat es sich an den Rand des Ruins gebracht. Das Einsetzen der Geldentwertung verschärft die Situation. Zudem entfällt dem bürgerlichen Stand durch die Einführung des Mieterschutzes eine ergiebige Geldquelle. Und nur noch wenige Familien findet Wagner, die es sich leisten können, Hauspersonal zu beschäftigen. Rasch wird ihm klar, dass das einen Wandel der Lebensformen mit sich bringt. Die mußevolle Beschäftigung mit Kunst ist zu einem Relikt der Jahrhundertwende geworden.« (S. 125)

Dass der Autor Christoph W. Bauer, geboren 1968 in Kolbnitz, Kärnten, seit vielen Jahren in Innsbruck lebt und arbeitet, wird durchaus auch bereichernd spürbar. Wer seine vielfältigen literarischen Arbeiten noch nicht kennt, der gehe flink entweder in die »Wagner’sche« in Innsbruck oder in eine nähere Buchhandlung des Vertrauens und entdecke diese in sich ruhende Stimme der zeitgenössischen Literatur, sei es in der Prosa (»Niemandskinder«) oder in der Lyrik (»stromern«), beide übrigens im Haymon Verlag in Innsbruck (na no na ned) erschienen.

 

Christoph W. Bauer: Der Buchdruckerei der Medici. Innsbruck: Haymon Verlag.