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Hermann Hesse »Heumond«. Oder erinnerungsevozierende Sommerlektüre nicht nur für den Juli

In dieser Erzählung verdichtet Hesse zwei Sommertage in ausgewählten Erzählmomenten, in denen sich zusehends unerträglicher werdende schwüle Witterung bis zu einem erlösenden Gewitter steigert:

Der sechzehnjährige Schüler Paul Abderegg verliebt sich während dieser Ferien zum ersten Mal; und zwar in Thusnelde. Sie ist die Ältere der beiden Töchter, die mit ihrem Vater die Familie Abderegg besucht. Ebenso ergeht es Berta, der jüngeren Schwester Thusneldes,  die allen anderen nichts als ein Kind ist, obgleich sie in Pauls Alter ist.

Beide, Berta und Paul, erfahren zum ersten Mal, wie sich Verliebtheit anfühlt, dass Eifersucht und Argwohn ein täppisches und sonderbar kindisches Verhalten evozieren kann und dass Verliebtheit im Abschied in ein (gestohlenes) Geschenk münden kann oder sich ein Mangel an Achtsamkeit für die Bedeutung eines Augenblicks schmerzvoll einprägt – sprich: Paul klaut dem Vater eine seiner geliebten Rosen für Thusnelde; für Berta hat er nicht einmal ein Gänseblümchen.

Thematisch ist dies – eine ›erste Verliebtheit, die einen aus der Bahn wirft‹ – zwar wahrlich nichts Besonderes, doch nutzt Hesse die umgebende Natur gekonnt dazu, das Innenleben seiner Figuren zu gestalten. Und erinnert die Leser*innen – wie auch die erwachsenen Protagonist*innen des Romans, sei es der Hauslehrer, sei es der Vater oder Pauls Tante – an die Stunden, in denen wir zum ersten Mal Hals über Kopf verliebt waren und ignoriert wurden.

Die Art und Weise, wie Hesse das Evozieren unserer Erinnerungen gelingt, erinnert an Proust, denn mittels des Zusammenfließens zwischen Raumempfinden und minimal aktiver Handlung werden in uns assoziativ unsere eigene Erinnerung an ähnliche Lebensmomente geweckt. Unwillkürlich ›stolpern‹ wir – im proustschen Sinne – während der Lektüre in sie.

Trotzdem besteht ein gravierender Unterschied zwischen Prousts erinnerndem Empfinden und Hesses Hervorrufen: Wo der Franzose den distanzierten Ton hält, das Vokabular nicht verändert, wiewohl wir den Kern einer Szene bereits erfahren haben, holt Hesse im Danach weiter aus und wird an diesen Stellen stets unerträglich schwülstig und erklärend: Im Versuch, exakt zu sein, findet sich ab und an ein Wort zu viel ein und beschneidet unsere Freiheit als Erinnernde im Spiegelsaal der Literatur – in diesem Unvermögen erinnert Hesse eher an andere deutschsprachige Autor*innen seiner Generation, ein Erzählton, der außerdem in der gewählten Perspektive begründet liegen mag: Hesse nutzt in seinem Hang zur Auktorialen die Darstellung in der dritten Person, was bei diesem Autor des Öfteren den Eindruck weckt, eine außenstehende Instanz würde erklärend eingreifen, der jedoch Doderers Talent zur Ironie fehlt, während Proust einen chirurgisch-talentierten Ich-Erzähler ans Werk schickt, der eigene Empfindungen stets bloß bis zu einem gewissen Punkt seziert (Vgl. z. B. die Darstellung eines schwülen Gewitter-Traumes in »Tage der Freuden« im Abschnitt »Trauer und Träume in allen Regenbogenfarben. XIV Traum«.).

Trotz dieser sprachlichen Einschränkung lohnt sich die Lektüre, will man beobachten, wie sich mittels der Natur das Innenleben versinnbildlichen lässt – oder mag man schlicht eine ›nette, kleine Geschichte‹ in der Sommerhitze genießen.

 

 

Hesse, Hermann: Heumond. Erzählung. Suhrkamp Taschenbuch. Berlin: 1985.