Oskar Jan Tauschinksi »Tamil«. Oder: eine überzeugte Leseempfehlung

Oskar Jan Tauschinksi »Tamil«. Oder: eine überzeugte Leseempfehlung

 

Man kennt diesen Autor dem Namen nach: als Nachlassverwalter Marlen Haushofers, als engagierter Kollege für das Werk Helene Lahrs, als Freund Alma Johanna Koenigs, kaum jedoch als eigenständigen Literaten, der lesenswerte Erzähluniversen schuf. Ein Faktum, das sich dringend ändern sollte.

 

Durch Zufall stieß ich auf diesen Roman mit dem Titel »Talmi«, als ich für meinen Fortsetzungsroman »Perfekt« recherchierte und mir diverse Exempel ansah. ich begann, ohne große Erwartungen in Tauschinskis Roman zu lesen und war erstaunt, dass mir dieser Autor in seiner Arbeit bislang entgangen war:

»Talmi«, der Kollegin Alma Johanna Koenig gewidmet, erschien erstmals vom 21. Februar bis 29. Mai 1952 in der Wiener »Arbeiter-Zeitung«. 1963 folgte eine überarbeitete Fassung in einem kleinen Münchner Verlag. Die derzeit erhältliche Ausgabe in der »Edition Atelier« wurde um ein die Hintergründe klug beleuchtendes Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl ergänzt: Ihrer Analyse ist im Grunde genommen nichts hinzuzufügen, doch sollte als Augenmerk Tauschinskis Umgang mit Zeitgeschichte und sein Werk als Echo auf die politischen Verhältnisse der 1945er- bis 1950er-Jahre hervorgehoben werden:

»Tauschinski verzichtet dabei stets auf summarische Schuldaufrechnung, die Grenze zwischen gut und böse präsentiert sich als schwieriger Balanceakt. Seine Figuren wirken in diesem Sinn häufig ›uneindeutig‹ und mit dieser Zwiespältigkeit auch überraschend modern. Zugleich hat Tauschinski wie kaum ein Autor der Zeit an der Notwendigkeit eines klaren Umgangs mit der Schuldfrage festgehalten.« (S. 328)

Modern, vor allem aber überzeugend und faszinierend zugleich, das sind sie!

Die Handlung des Romans, welche auf mehreren Zeitebenen angesiedelt ist, basiert auf der Begegnung eines Ich-Erzählers, der stets im Hintergrund bleibt, mit der etablierten Keramikerin Susanne Sedlak 1946. Als die beiden einander kennenlernen, kündigt sie bereits an, dass sie wenige Wochen später einen Biologen heiraten und mit ihm nach Montreal auswandern werde. Deswegen übergibt sie ihm ein Manuskript zur Lektüre. Danach solle er es vernichten: Sie habe diese Aufzeichnungen einst für sich selbst geschrieben, um sich über einen Freund namens Ernst klar zu werden. So weit das Setting, nicht wirklich etwas Neues, jedoch jener Ernst – und das wird bald deutlich – ist ein Hochstapler, ein Charmeur, ein Gigolo; und eine Anspielung auf den Hochstapler Alain Leslie in Alma Johanna Koenigs Roman »Leidenschaft in Algier« (1932).

Der Hochstapler als Figur ist ebenso typisch für die 1920er-Jahre wie die Neue Frau oder das Warenhaus und Polt-Heinzl begründet dies schlüssig in der Zeitgeschichte: »[…] der Umbruch 1918 und die Jahre der Kriegsschieber und Inflationsgewinner haben die soziale Erkennbarkeit der Klassenzugehörigkeit radikal durcheinandergebracht. Wenn tradierte Sicherheiten wegbrechen oder doch relativ werden, schlägt die große Stunde des Hochstaplers, der vom Wegfall einigermaßen nachprüfbarer Kriterien zur Einschätzung sozialen ökonomischen Handelns profitiert«, schreibt sie in ihrem Nachwort (S. 335).

Die beiden einander gegenübergestellten Figuren Susanne und Ernst machen durch ihren Kontrast – neben der politischen Dimension – den Reiz dieses Romans aus. Vielmehr sei an dieser Stelle nicht verraten, um das Erleben des Handlungsverlaufs nicht zu torpedieren.

Einzig auf die zweite Hommage, die sich in »Talmi« verbirgt, sei an dieser Stelle noch hingewiesen: In der Figur der bildenden Künstlerin Aglaia, fähig zu großer Empathie und wahrer Freundschaft, ist unschwer die Dichterin Alma Johanna Koenig zu erkennen: ihre unfreiwillige Odyssee quer durch Wien, von elendem Quartier zu immer noch elenderem Quartier, auf der Flucht vor den Nazis, die Sorge, Freund*innen zur Last zu fallen, die Schikanen, die sich als ›Arbeitseinsätze‹ tarnen, final die Deportation lassen wohl keinen Lesenden unberührt. Berti, den Tauschinski als treue Seele an die Seite Aglaias stellt, ist – wenig überraschend – ein Selbstporträt.

Es ist dem Können des Autors zu verdanken, dass die Figur des Ernst nie eindimensional wird, obgleich er – in seiner Mentalität als Goldgräber – es durchaus auch während der NS-Zeit versteht, auszublenden, womit er nicht beschäftigt werden möchte.

Neben der Tatsache, dass sich Tauschinski viel früher als manch andere mit der Frage der Schuld beschäftigte, die Figuren in ihrer Dreidimensionalität überzeugen, der Plot spannend bleibt, so dass ihm nicht einmal das doch etwas überdehnte Ende schaden kann, begeisterte mich Tauschinskis Fähigkeit zur Ironie. Deswegen hier ein Exempel:

»Das Haus hatte starke Bombenschäden davongetragen, war aber noch bewohnbar. Die Tür im zweiten Stock, an der ein getriebenes Messingschild mit der Inschrift »Atelier Sedlak« befestigt war, mußte der Luftdruck aus den Angeln gerissen haben. Sie war wohl wieder eingehängt worden, und ihre Wunden schienen mithilfe frischer Holzteile notdürftig ausgeheilt, aber noch hat sich kein Lack über das Alte und das Neue vertuschend und ausgleichend gebreitet. Anstatt ihrer unpersönlichen Pflicht des schweigsamen Abschließens nachzukommen, sprach diese Tür in beredten Worten von ihren Erfahrungen. Davon, wie sie ursprünglich als Hüterin des intimen Friedens getischlert worden sei und wie sie im Lauf des letztvergangenen Jahrzehnts nur nach dem Schein nach das Privatleben der Bewohner von der Außenwelt geschützt habe, denn in Wahrheit sei ein privates Dasein ja schon als solches staatsfeindlich und unstatthaft gewesen. Privatleben im Krieg – das wäre ja zum Lachen! Aber die Bewohnerin der Räumlichkeiten dahinter hatte sich Lange in der Illusion gewiegt, die Tür sei imstande, sie vor zudringlichen Augen und Ohren zu bewahren, und war fern davon zu lachen, als sie anlässlich eines Gestapoverhörs erkennen mußte, auf einer offenen Schaubühne gelebt zu haben.« (S. 11)

Nehmen Sie den Roman zur Hand und lesen Sie! Lassen Sie uns vergessen, dass wir Tauschinski vergessen haben, weil er einer war, der andere ins Licht rückte.